Rz. 156

Aufgrund der Möglichkeit, einen wirksamen Pflichtteilsverzicht mit dem behinderten Angehörigen zu vereinbaren, erschließen sich ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten für die Versorgung von behinderten Angehörigen, da das Problem des überleitbaren Pflichtteilsanspruchs durch einen wirksamen Pflichtteilsverzicht gelöst ist. Der behinderte Angehörige muss daher grundsätzlich nicht mehr mit einer Vorerbschaft oder einem Vorvermächtnis mindestens in Höhe des Pflichtteilsanspruches bedacht werden. Um die Versorgung des behinderten Angehörigen sicherzustellen, kann ihm dann per Vermächtnis z.B. ein Nießbrauch an einer Immobilie, einer Gesellschaftsbeteiligung oder einem Wertpapierdepot zugewendet werden. Für dieses Vermächtnis müsste dann wieder Dauertestamentsvollstreckung angeordnet werden.

 

Rz. 157

Grundsätzlich ist ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht nach der h.M. zwar auch ohne Abfindung wirksam. Nur in krassen Ausnahmefällen kommt eine Sittenwidrigkeit in Betracht.[198] Bei Erb- und Pflichtteilsverzichten von Behinderten ist aber grundsätzlich eine Abfindung erforderlich, da nur so das Wohl des Behinderten hinreichend gewahrt werden kann.[199] Gemäß § 1901 Abs. 2, 3 BGB ist das Wohl des Betreuten der Maßstab für alle Maßnahmen des (Ergänzungs-)Betreuers.[200] Seine Entscheidung bedarf im Rahmen von Erb- und Pflichtteilsverzichten gemäß § 2347 Abs. 1 S. 2 BGB der Zustimmung des Betreuungsgerichts, welches gleichfalls auf das Wohl des Betreuten abstellt.[201] Genehmigungsfähig ist ein Pflichtteilsverzicht z.B. dann, wenn der Behinderte als Abfindung bereits zu Lebzeiten eine Leibrente erhält.[202]

 

Rz. 158

Nur durch einen Pflichtteilsverzicht des Behinderten kann ausgeschlossen werden, dass im Erbfall der (Ergänzungs-)Betreuer[203] des Behinderten die durch die Vor- und Nacherbschaft sowie die Testamentsvollstreckung beschränkte Erbschaft ausschlägt und den "freien" Pflichtteil geltend macht.[204] Vor dem Hintergrund des Wohls des Betreuten könnte sich der (Ergänzungs-)Betreuer insbesondere dann zur Ausschlagung verpflichtet fühlen, wenn schon der Pflichtteil so hoch ist, dass er zur Deckung der Lebenshaltungskosten sowie insbesondere medizinischer und therapeutischer Zusatzleistungen zu Lebzeiten nicht aufbrauchbar wäre.[205]

[199] MüKo/Wegerhoff, § 2347 Rn 8.
[200] Zur Notwendigkeit eines Ergänzungsbetreuers siehe §§ 1902, 1908i Abs. 1 S. 1, 1795, 1909 Abs. 1 S. 1 BGB, bei minderjährigen Behinderten wäre eine Vertretung durch einen Ergänzungspfleger und die Genehmigung durch das Familiengericht erforderlich.
[201] BGH, Beschl. v. 30.11.2016 – XII ZB 335/16, juris Rn 12, NJW-RR 2017, 324; MüKo/Wegerhoff, § 2347 Rn 8; im Rahmen des Beurkundungsverfahrens durch den Notar ist darauf zu achten, dass diesem eine sog. Doppelvollmacht, als Bevollmächtigter des Betreuers die gerichtliche Genehmigung entgegenzunehmen und diese dem Vertragspartner mitzuteilen, sowie als Bevollmächtigter des Vertragspartners die Mitteilung der Genehmigung entgegenzunehmen, erteilt wird, vgl. BGH, Beschl. v. 2.12.2015 – XII ZB 283/15, juris Rn 35, NJW-RR 2017, 324.
[202] Ausführliche Darstellung zum Pflichtteilsverzicht eines Behinderten gegen Abfindung mit Formulierungsbeispiel Beckervordersandfort, ,ErbR 2020, 528.
[203] Bei minderjährigen Behinderten wäre eine Vertretung durch einen Ergänzungspfleger und die Genehmigung durch das Familiengericht erforderlich.
[204] Dazu etwa OLG Hamm, Urt. v. 11.5.2017 – 10 U 72/16, Rn 30 f., ZEV 2018, 136; auch schon Kübler, Das sogenannte Behindertentestament unter besonderer Berücksichtigung der Stellung des Betreuers, Diss. München 1998, S. 167.
[205] Kübler, Das sogenannte Behindertentestament unter besonderer Berücksichtigung der Stellung des Betreuers, Diss. München 1998, S. 167.

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