Rz. 125
Die Gestaltungspraxis versucht die dargestellten Probleme zu lösen, indem dem behinderten oder bedürftigen Angehörigen Vermögen so zugewendet wird, dass die Vermögenssubstanz langfristig geschützt und auch die Erträge möglichst nicht auf die Sozialhilfe oder das Arbeitslosengeld II angerechnet werden. Man bedient sich hierzu der erbrechtlichen Institute der Vor- und Nacherbschaft (sog. Erbschaftslösung) bzw. des Vor- und Nachvermächtnisses (sog. Vermächtnislösung), jeweils kombiniert mit der Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung. Auch wird ein Erbverzicht empfohlen.
Diese Vorgehensweise ist grundsätzlich durch die Rechtsprechung des BGH abgesegnet.[165] Laut BGH liegt selbst in der bewussten und gezielten Umgehung des sozialrechtlichen Nachrangprinzips und den damit einhergehenden Lasten für die Allgemeinheit kein Verstoß gegen die guten Sitten vor, sondern es kommt vielmehr die sittlich gerade anerkennenswerten Sorge der Eltern für das Wohl des behinderten Kindes über ihren Tod hinaus in dieser Gestaltung zum Ausdruck.[166]
1. Behinderten-/Bedürftigentestament
Rz. 126
Das sog. Behinderten- oder Bedürftigentestament kommt in verschiedenen Varianten vor.
a) Die sog. Erbschaftslösung
Rz. 127
Die sog. Erbschaftslösung ist der Prototyp eines Testaments zugunsten Behinderter. Es handelt sich dabei um eine Kombination aus Vor- und Nacherbschaft mit Dauertestamentsvollstreckung. Sie wird vom BGH als zulässiges Gestaltungsmittel voll akzeptiert. Roland Wendt, ehemaliges Mitglied des Erbrechtssenats beim BGH, schreibt bei seiner Darstellung der Erbschaftslösung: "zum ständigen Repetieren anempfohlen".[167] Die sog. Erbschaftslösung besteht aus drei Bausteinen.
▪ | Durch die nicht befreite Vorerbschaft wird der Vollstreckungszugriff gemäß § 2115 BGB ausgeschlossen. |
▪ | Durch die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung mit weitgehenden Rechten für den Testamentsvollstrecker erreicht man eine Abschirmung des Vermögensstocks gemäß § 2214 BGB und über bindende Verwaltungsanordnungen gemäß § 2216 Abs. 2 BGB wird eine zusätzliche Unterstützung durch Erträge[168] aus der Vorerbschaft ermöglicht, ohne dass die Sozialhilfeleistungen gekürzt werden.[169] |
▪ | Durch die Nacherbeneinsetzung wird erreicht, dass auch beim Tode des Behinderten keine Kostenerstattungsansprüche gegen die Erben geltend gemacht werden können und so die Vermögenssubstanz langfristig für die Familie erhalten bleibt. |
Rz. 128
Nachteil der sog. Erbschaftslösung ist, dass der Behinderte gerade beim Tod des erstversterbenden Ehegatten mit dem länger lebenden Ehegatten eine Erbengemeinschaft bildet und dadurch Beteiligungsrechte an Verwaltung und Auseinandersetzung des Nachlasses erhält. Das kann wegen der Notwendigkeit, Testamentsvollstrecker und Betreuer einzuschalten, gegebenenfalls ein Mitregieren durch familienfremde Außenstehende zur Folge haben, wenn nicht ausreichend kompetente Familienmitglieder zur Verfügung stehen. Es wird dann oft auch die Einsetzung eines Dauerpflegers bzw. Dauerersatzbetreuers erforderlich. Diese Nachteile der sog. Erbschaftslösung versucht man mit der sog. Vermächtnislösung zu vermeiden.
b) Die sog. Vermächtnislösung
Rz. 129
Bei der sog. Vermächtnislösung wird der Behinderte enterbt und mit einem Vorvermächtnis mindestens in Höhe des Pflichtteils bedacht. Auch die Vermächtnislösung wird von der Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung flankiert. Bisher gibt es keine höchstrichterliche Entscheidung zur Zulässigkeit der sog. Vermächtnislösung. Die Sozialhilfeträger versuchen daher auch immer wieder diese Art der Gestaltung "anzugreifen".
Rz. 130
Die herrschende Meinung[170] hält die Vermächtnislösung grundsätzlich für wirksam. Umstritten ist nur die Frage, wie im Falle des Todes des Behinderten bei der Vermächtnislösung das Konkurrenz...
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