Dieter Trimborn van Landenberg
Rz. 22
Wenn der Vollmachtgeber mehrere Bevollmächtigte mit umfassenden Vorsorgevollmachten ausgestattet hat, könnte man daraus theoretisch ableiten, dass diese sich gegenseitig "abschießen" können. Ein Wettlauf der Widerrufe böte dann dem schnellsten Bevollmächtigten die alleinige Verfügungsmacht. Ob das dem Willen des Vollmachtgebers entspricht, erscheint fraglich.
Beispiel
Die Mutter M bevollmächtigt ihre beiden Söhne, die Brüder B1 und B2, mit einer notariellen Generalvollmacht, in der beide gleichrangig "jeweils einzeln zur Vertretung berechtigt" sind. B1 wohnt im Haus der M, er organisiert den Alltag und führt die Geldgeschäfte von M, die an Demenz erkrankt und nicht mehr geschäftsfähig ist.
Als B2 erfährt, dass hohe Bargeldbeträge abgehoben wurden, für die ihm B1 keine schlüssigen Erklärungen liefern kann, kommt es zum Streit. Er widerruft für seine Mutter M die Vollmacht und verklagt B1 auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde.
Rz. 23
Das OLG Karlsruhe hat in einem gleich gelagerten Fall entschieden, dass bei Erteilung einer gleichrangigen Generalvollmacht, einer so genannten Solidarvollmacht, keiner der Bevollmächtigten befugt sein soll, die Vollmacht des anderen zu widerrufen, auch wenn der Vollmachtgeber mangels Geschäftsfähigkeit nicht mehr in der Lage sein sollte, über den Widerruf der Vollmacht zu entscheiden. Die entsprechende Klage auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde wurde schon als unzulässig abgewiesen, weil der Mitbevollmächtigte gar nicht prozessführungsbefugt war, folglich auch keinen Rechtsanwalt beauftragen konnte.
In seltenen Fällen wird es Mitbevollmächtigte geben, die ausdrücklich zum Widerruf einer Vollmacht befugt sind, z.B. wenn ein Kontrollbevollmächtigter mit dieser Macht eingesetzt ist. Nur dann ist ein Widerruf ohne Problem möglich.
Rz. 24
Ansonsten stellt sich die Frage, ob ein Widerruf im Wege der Auslegung zu ermitteln ist. Eine Gegenmeinung will den Widerruf durch Mitbevollmächtigte auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung nicht kategorisch ausschließen. Ausgehend vom Interesse des Vollmachtgebers wird argumentiert, dass Vollmachten im Hinblick auf eine Widerrufsmöglichkeit ausgelegt werden können. Insbesondere, wenn im Innenverhältnis ein Haupt- und ein Ersatzbevollmächtigter benannt worden sind, soll der Hauptbevollmächtigte die Vollmacht des ersatzweise Bevollmächtigten widerrufen dürfen.
Hinweis
Sind Ehegatte und Kinder gleichrangig bevollmächtigt, wird man unter Hinweis auf das eheliche Näheverhältnis gut argumentieren können, dass der Ehegatte gegenüber dem Kind ein Widerrufsrecht haben soll, auch wenn keine ausdrückliche Regelung des Rangverhältnisses besteht.
Tipp zur Vorbeugung
Nicht nur im Innenverhältnis, sondern auch schon in der Vorsorgevollmacht selbst können Regeln über das Widerrufsrecht ausdrücklich festgehalten werden. Üblicherweise sollte in der klassischen Familie der Ehegatte gegenüber dem Kind ein Widerrufsrecht haben, in Patchworkfamilien kann dies auch anders geregelt werden, insbesondere wenn eigene Kinder und Stiefkinder Bevollmächtigte sind.
Rz. 25
Auch ein Widerruf aus wichtigem Grund soll durch den Mitbevollmächtigten möglich sein. Aus dem Grundverhältnis, das regelmäßig ein Auftrag gem. § 662 BGB sein wird, kann man ableiten, dass hier zur Abwendung von Gefahren der Mitbevollmächtigte für den Vollmachtgeber gem. § 671 Abs. 1 BGB die Kündigung erklären kann.
Zur Bestimmung, was ein wichtiger Grund sein soll, können die Grundsätze des § 626 BGB herangezogen werden. Wann aber konkret ein wichtiger Grund vorliegt, müsste wahrscheinlich in einem langen Rechtsstreit geklärt werden, so dass sich mit dieser Begründung kein Bevollmächtigter kurzfristig die Verfügungsmacht abnehmen lassen wird.
Hinweis
Der Rechtsanwalt, der von einem Bevollmächtigten aufgesucht wird, der einem Mitbevollmächtigten die Vollmacht widerrufen will, muss nach genauer Analyse und Bewertung des Sachverhalts überlegen, ob er zusätzlich zum "vorsorglichen" Widerruf der Vollmacht bei erster Gegenwehr ein betreuungsgerichtliches Verfahren gem. § 1820 BGB veranlasst.
Rz. 26
Wenn der Mitbevollmächtigte keine Widerrufsmöglichkeit hat, bleibt die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung gegen den Mitbevollmächtigten zu prüfen. Der Antrag auf vorläufige Unterlassung eines Gebrauchs der Vollmacht kann damit begründet werden, dass vor Durchführung eines Bestellungsverfahrens für einen Kontrollbetreuer gem. § 1820 Abs. 3 BGB durch das Betreuungsgericht und dessen nachfolgende Entscheidung zum Widerruf zu einem dauerhaften Rechtsverlust führen würde, wenn der Mitbevollmächtigte weiter in missbräuchlicher Art und Weise von der Vollmacht Gebrauch machen würde.
Rz. 27
Jedenfalls sollte der Rechtsanwalt zunächst genau die Vollmacht des widerrufswilligen Vertreters lesen und den Sachverhalt genau erfragen, bevor ein unwirksamer Widerruf das Verhältnis zwischen mehreren Bevollmächtigten unnötig belastet.
Den sichersten Weg geht ein widerrufswilliger Mitbevollmächtigter, wenn er zumindest zeitg...