Dr. iur. Olaf Schermann, Walter Krug
Rz. 240
Das Gesetz gesteht sowohl dem Alleinerben als auch jedem Miterben ab Eintritt des Erbfalls zeitlich gestaffelte Orientierungsphasen zu. Die Erbenstellung ist bis zur Annahme der Erbschaft nur vorläufig. Schlägt der Erbe die Erbschaft aus, so gilt der Anfall an ihn als nicht erfolgt, §§ 1942 Abs. 1, 1953 Abs. 1 BGB. Dann hat sich das Haftungsproblem für ihn erledigt, nicht aber für denjenigen, dem die Erbschaft an seiner Stelle anfällt, § 1953 Abs. 2 BGB.
Rz. 241
Gemäß § 1958 BGB kann eine Nachlassverbindlichkeit vor Annahme der Erbschaft nicht eingeklagt werden; dabei handelt es sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die von Amts wegen zu beachten ist. Eine Klage, die dies missachtet, wäre als unzulässig abzuweisen. Schlägt der Erbe die Erbschaft nach Klageerhebung aus oder erklärt er die Anfechtung der Annahme, kann der Kläger die Hauptsache für erledigt erklären (§ 91a ZPO). Hat der Erbe nichts dazu getan, um vom Kläger als Erbe angesehen zu werden, sind dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Rz. 242
Während dieses Schwebezustandes tritt auch trotz Mahnung kein Schuldnerverzug ein (§ 286 Abs. 4 BGB). Weil die Ausschlagungsfrist mit Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und vom Berufungsgrund zu laufen beginnt (§ 1944 Abs. 2 S. 1 BGB), kann diese erste Phase für jeden der Miterben unterschiedlich lang sein.
Rz. 243
§ 1958 BGB gilt jedoch nicht bei Vorhandensein eines Testamentsvollstreckers (§ 2213 Abs. 2 BGB) und bei Anordnung der Nachlasspflegschaft (§ 1960 Abs. 3 BGB). Will ein Gläubiger eine Nachlassverbindlichkeit geltend machen, bevor der Erbe die Erbschaft angenommen hat, so muss er die Anordnung der Nachlasspflegschaft – in der Form der Klagepflegschaft (§ 1961 BGB) – beim zuständigen Nachlassgericht beantragen. § 1958 BGB wirkt sich im Verfahren auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel gegen den Erben in der Weise aus, dass vor Annahme der Erbschaft ein gegen den Erblasser gerichteter Titel nicht auf den Erben nach § 727 Abs. 1 ZPO umgeschrieben werden kann.
Rz. 244
Die Klagepflegschaft: Auf Antrag eines Nachlassgläubigers hat das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger zu bestellen, wenn die Erbschaft entweder noch nicht angenommen oder der Erbe unbekannt oder ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat, § 1961 BGB. Dies korrespondiert mit der Vorschrift des § 1958 BGB, wonach vor der Annahme der Erbschaft eine Klage gegen den Erben als unzulässig abzuweisen wäre. Die Klagepflegschaft dient dazu, diesen Zeitraum für einen Gläubiger, der seinen Anspruch gegen den Nachlass geltend machen will, zu überbrücken. Sollte ein Erbscheinsantrag eines Vollstreckungsgläubigers nach § 792 ZPO keinen Erfolg haben, so könnte er ebenfalls die Anordnung einer Klagepflegschaft beantragen. Besonders hinzuweisen ist darauf, dass auch Pflichtteilsberechtigte und Vermächtnisnehmer Nachlassgläubiger sind und deshalb eine Klagepflegschaft beantragen können, um ihre Ansprüche geltend zu machen.
Dem Nachlassgläubiger steht gegen die Aufhebung der Klagepflegschaft ein Beschwerderecht nach § 59 FamFG zu.