Dr. iur. Olaf Schermann, Walter Krug
1. Die Anfechtung der Annahme der Erbschaft
Rz. 116
Das Gesetz geht in §§ 1954 bis 1957 BGB von der Möglichkeit einer Anfechtung der Annahme einer Erbschaft aus, enthält jedoch dort keine besonderen Bestimmungen zu den Gründen, die eine solche Anfechtung rechtfertigen können. Daraus folgt, dass insoweit die allgemeinen Bestimmungen der §§ 119 ff. BGB maßgebend sind.
2. Anfechtungsgründe
Rz. 117
Als Anfechtungsgründe im Sinne eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB kommen die Überschuldung des Nachlasses, mangelnde Kenntnis einzelner wichtiger Nachlassverbindlichkeiten, fehlerhafte Einschätzung des Wertes einzelner Nachlassgegenstände in Betracht. Dabei ist als "Sache" im Sinne dieser Vorschrift bei der Anfechtung gem. §§ 1954, 1956 BGB die Erbschaft anzusehen, d.h. der dem Erben angefallene Nachlass oder der betreffende Nachlassteil bei einem Miterben. Das bedeutet, dass die Überschuldung der Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft gem. § 119 Abs. 2 BGB darstellen kann, die zur Anfechtung der Annahme der Erbschaft berechtigen kann.
Rz. 118
Allerdings muss die Überschuldung auch im Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft vorliegen. Eine Überschuldung des Nachlasses als Voraussetzung für die Eröffnung der Nachlassinsolvenz gem. § 320 S. 1 InsO liegt vor, wenn bei Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva des Nachlasses die Verbindlichkeiten den Wert der Nachlassgegenstände übersteigen.
Maßgebend für die Bewertung von Nachlassgegenständen im Rahmen der Überschuldensprüfung ist der jeweilige Liquidationswert, d.h. der Wert, zu dem die Nachlassgegenstände veräußert werden können.
Rz. 119
Evtl. Fehlvorstellungen des Erben über den Wert einzelner zum Nachlass gehörender Gegenstände können für sich die Anfechtung der Annahme nicht begründen. Der Wert der Nachlassgegenstände als solcher stellt keine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB dar.
Ein Irrtum über das Bestehen von Verbindlichkeiten, bspw. von Einkommensteuerschulden für zurückliegende Veranlagungszeiträume, kann grundsätzlich die Anfechtung der Annahme begründen. Allerdings ist eine einzelne Verbindlichkeit lediglich ein Rechnungsfaktor für die Bewertung des ganzen Nachlasses und damit der Überschuldung.
Rz. 120
Eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB wird bejaht, wenn es um die Überschuldung des Nachlasses geht oder um eine Belastung des Nachlasses mit wesentlichen Verbindlichkeiten (z.B. Vermächtnis), deren rechtlicher Bestand ungeklärt ist. Weiter wird hierzu gerechnet die Höhe des Erbanteils, die Größe des Nachlasses, Irrtum über Zugehörigkeit von Rechten oder Verbindlichkeiten zum Nachlass, wenn dieser Irrtum zur Vorstellung einer tatsächlich nicht bestehenden Überschuldung führt.
Rz. 121
Geht es um die Eigenschaften einer Sachgesamtheit wie eines Nachlasses, so stellt deren Zusammensetzung ein solches wertbildendes Merkmal dar. Deshalb gehört es zu den wertbildenden Faktoren der Erbschaft, mit welchen Verbindlichkeiten der Nachlass belastet ist. Ein Irrtum hierüber kann jedoch die Anfechtung nur begründen, wenn sich das Bestehen einer solchen Verbindlichkeit als verkehrswesentliches Merkmal darstellt und der Irrtum hierüber für die Erklärung der Annahme ursächlich war. Insoweit ist bei der Beurteilung auf die Erbschaft als Ganzes, d.h. als Zusammenfassung aller Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten, abzustellen. Deshalb können nur wertbildende Faktoren von besonderem Gewicht als im Verkehr wesentlich angesehen werden. Die Verbindlichkeit muss daher eine im Verhältnis zur gesamten Erbschaft erhebliche und für den Wert des Nachlasses wesentliche Bedeutung haben.
Darüber hinaus muss anzunehmen sein, dass der Erbe bei Kenntnis der Verbindlichkeit und verständiger Würdigung des Falles die Annahme nicht erklärt hätte, § 119 Abs. 1 BGB. Ein solches verständliches Interesse wird aber in aller Regel nicht gegeben sein, wenn auch unter Berücksichtigung der zunächst unbekannten Verbindlichkeit ein deutlicher Überschuss der Aktiva des Nachlasses über die Passiva verbleibt. Denn es ist davon auszugehen, dass man im Allgemeinen bei verständiger Würdigung auch kleinere Erbschaften anzunehmen pflegt.
3. Folgen der Anfechtung der Annahme
Rz. 122
Die Anfechtung der Annahme gilt als Ausschlagung, § 1957 Abs. 1 BGB.
4. Praxishinweise
Rz. 123