A. Allgemeiner Teil

I. Einleitung

 

Rz. 1

Neben dem Geldkredit, den Kreditinstitute vergeben, gibt es den Warenkredit, auch Lieferantenkredit genannt. Dabei räumt der Lieferant oder Dienstleister dem jeweiligen Kunden ein Zahlungsziel ein. Dieser für den Kunden zugestandene Vorteil beinhaltet für den Lieferanten/Dienstleister ein wirtschaftliches Risiko, weil nicht sicher ist, dass er zum vereinbarten Zeitpunkt sein Geld bekommt. Dieses Risiko kann er durch eine Warenkreditversicherung abdecken.

 

Rz. 2

Der Lieferantenkredit ist branchenüblich. Sowohl Warenlieferanten als auch Dienstleister (z.B. Gebäudereiniger) können ihre Forderungen gegen das Ausfall- bzw. das Insolvenzrisiko oder stark verzögerte Zahlung absichern, um die Existenzfähigkeit des eigenen Unternehmens nicht unnötig zu gefährden. Dabei können Forderungen gegen inländische und ausländische Kunden abgesichert werden.

 

Rz. 3

Vor allem die alljährlichen hohen Insolvenzzahlen (in 2015: 23.123 gewerbliche Insolvenzen und 104.560 übrige Schuldnerinsolvenzen in Deutschland)[1] haben Forderungsverluste von ca. 17,5 Milliarden EUR bei Unternehmensinsolvenzen zur Folge und sollten den Kreditgebern zu denken geben. Diese Zahlen zeigen die betriebswirtschaftliche Bedeutung.

 

Rz. 4

Im Zusammenhang mit der Debitorenabsicherung erhalten die Lieferanten mit der Kreditversicherung eine wertvolle Unterstützung ihres Forderungsmanagements. Regelmäßig beliefern bzw. versichern eine Vielzahl von Lieferanten denselben Kunden, so dass aufgrund des permanenten Informationsaustausches zwischen Lieferant (Versicherungsnehmer) einerseits und Versicherer andererseits eine fundierte und aktuelle Beurteilung des Kunden möglich ist. Zusammen mit den eigenen Bewertungen (z.B. Bilanzanalyse) sammelt der Kreditversicherer Daten und Informationen. über das Risiko (= Kunde des Versicherungsnehmers), um eine eigene Kreditentscheidung zu treffen.

 

Rz. 5

Die ersten Versuche, mit der Kreditversicherung Ausfallrisiken abzudecken, sind im 18. Jahrhundert in England und im 19. Jahrhundert in Frankreich gescheitert. Die seit Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika noch bestehende American Credit Indemnity Company und die 1917 in Hamburg gegründete Hermes Kreditversicherung AG sind Kreditversicherer.[2] Heute betreiben in der Bundesrepublik Deutschland fünf Gesellschaften die klassische Kreditversicherung: Euler Hermes Kreditversicherungs-AG, Hamburg, die Atradius Kreditversicherung, Köln, die Coface Deutschland, Mainz, die R+V Allgemeine Versicherungs AG, Wiesbaden und die Zürich Gruppe, Frankfurt a.M.

[1] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 11.3.2016.
[2] Zur Historie vgl. Wittchen, S. 3 ff.

II. Rechtliche Grundlagen

 

Rz. 6

Den gesetzlichen Rahmen der "klassischen" Kreditversicherung bilden das VAG, das BGB, das HGB und vor allem das VVG mit seinen allgemeinen Vorschriften (§§ 158 VVG) und den allgemeinen Vorschriften zur Schadenversicherung (§§ 7487 VVG). Mit der VVG Reform 2008 unterfällt die Kreditversicherung der laufenden Versicherung gemäß Abschnitt 6 (§§ 5358 VVG). Aufgrund der Vorschrift des § 210 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VVG sind die sog. halbzwingenden Vorschriften des VVG grundsätzlich anwendbar, jedoch dispositiv.[3] Anders als in der Personenversicherung bedarf es hier keiner Beschränkung der Vertragsfreiheit, da der Versicherungsnehmer der Kreditversicherung typischerweise hinreichend geschäftskundig ist und für seine Inte­ressen selbst sorgen kann.

Aufsichtsrechtlich ist die Ausfuhrkredit- wie die Warenkreditversicherung gem. § 10 VVG Anlage Nr. 20 der Delkredere-Versicherung und damit der Kreditversicherung zugeordnet. Die Warenkreditversicherung sichert Forderungen gegen Schuldner in der Bundesrepublik Deutschland ab, während die Ausfuhrkreditversicherung Forderungen gegen ausländische Schuldner umfasst.

 

Rz. 7

Die allgemeinen Bedingungen für die Warenkreditversicherung und die Ausfuhrkreditversicherung sind in den Grundzügen bei allen deutschen Versicherungen einheitlich gestaltet, obgleich seit dem Wegfall der Genehmigungspflicht für Versicherungsbedingungen 1994 Versicherungsunternehmen die Möglichkeit haben, individuelle Versicherungsbedingungen zu vereinbaren.

Nichtsdestotrotz finden sich bis heute für das Inlandsgeschäft die Gedanken und Formulierungen der Allgemeinen Bedingungen für die Warenkreditversicherer (AVB WKV), für das Auslandsgeschäft die Allgemeinen Bedingungen für die Auslandskreditversicherung (AVB AKV).

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die in der Anlage abgedruckten Allgemeinen Bedingungen für die Warenkreditversicherung (Atradius-AVB WKV 04) und die Allgemeinen Bedingungen für die Ausfuhrkreditversicherung (Atradius-AVB AKV 04). Atradius Kreditversicherung, wie auch andere Kreditversicherer, arbeitet heute mit einem sog. modularen Policensystem ("Modula"), in dem inhaltsähnlich die AVB WKV bzw. AVB AKV textlich in die Einzelpolice integriert worden sind.

Die Regelungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unterliegen der Kontrolle der §§ 305 ff. BGB. Die Inhaltskontrolle beschränkt sich grundsätzlic...

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