A. Allgemeiner Teil
I. Einleitung
Rz. 1
Neben dem Geldkredit, den Kreditinstitute vergeben, gibt es den Warenkredit, auch Lieferantenkredit genannt. Dabei räumt der Lieferant oder Dienstleister dem jeweiligen Kunden ein Zahlungsziel ein. Dieser dem Kunden zugestandene Vorteil beinhaltet für den Lieferanten/Dienstleister ein wirtschaftliches Risiko, weil nicht sicher ist, dass er zum vereinbarten Zeitpunkt sein Geld bekommt. Dieses Risiko kann er durch eine Warenkreditversicherung abdecken.
Rz. 2
Der Lieferantenkredit ist branchenüblich. Sowohl Warenlieferanten als auch Dienstleister können ihre Forderungen gegen das Ausfall- bzw. das Insolvenzrisiko oder stark verzögerte Zahlung absichern, um die Existenzfähigkeit des eigenen Unternehmens nicht unnötig zu gefährden. Dabei können Forderungen gegen inländische und ausländische Kunden abgesichert werden.
Rz. 3
Vor allem die alljährlichen hohen Insolvenzzahlen (in 2022: 14.590 gewerbliche Insolvenzen und 90.939 übrige Schuldnerinsolvenzen in Deutschland) haben Forderungsverluste von ca. 14,8 Milliarden EUR bei Unternehmensinsolvenzen zur Folge und sollten den Kreditgebern zu denken geben. Diese Zahlen zeigen die betriebswirtschaftliche Bedeutung des Ausfallrisikos.
Rz. 4
Im Zusammenhang mit der Debitorenabsicherung erhalten die Lieferanten mit der Kreditversicherung eine wertvolle Unterstützung ihres Forderungsmanagements. Regelmäßig beliefern bzw. versichern eine Vielzahl von Lieferanten denselben Kunden, so dass aufgrund des permanenten Informationsaustausches zwischen Lieferant (Versicherungsnehmer) einerseits und Versicherer andererseits eine fundierte und aktuelle Beurteilung des Kunden möglich ist. Zusammen mit den eigenen Bewertungen (z.B. Bilanzanalyse) sammelt der Kreditversicherer Daten und Informationen. über das Risiko (= Kunde des Versicherungsnehmers), um eine eigene Kreditentscheidung zu treffen.
Rz. 5
Die ersten Versuche, mit der Kreditversicherung Ausfallrisiken abzudecken, sind im 18. Jahrhundert in England und im 19. Jahrhundert in Frankreich gescheitert. Die seit Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika bestehende American Credit Indemnity Company und die 1917 in Hamburg gegründete Hermes Kreditversicherung AG sind Kreditversicherer im heutigen Sinne. Derzeit betreiben in Deutschland vorrangig fünf Gesellschaften die klassische Kreditversicherung: Allianz Trade (ehemals Euler Hermes Kreditversicherungs-AG), Hamburg, Atradius Kreditversicherung, Köln, die Coface Deutschland, Mainz, R+V Allgemeine Versicherungs AG, Wiesbaden und die Zürich Gruppe, Frankfurt a.M.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 6
Den gesetzlichen Rahmen der "klassischen" Kreditversicherung bilden das VAG, das BGB, das HGB und vor allem das VVG mit seinen allgemeinen Vorschriften (§§ 1–58 VVG) und den allgemeinen Vorschriften zur Schadensversicherung (§§ 74–87 VVG). Mit der VVG Reform 2008 unterfällt die Kreditversicherung der laufenden Versicherung gemäß Abschnitt 6 (§§ 53–58 VVG). Aufgrund der Vorschrift des § 210 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VVG sind die sog. halbzwingenden Vorschriften des VVG grundsätzlich anwendbar, jedoch dispositiv. Anders als in der Personenversicherung bedarf es hier keiner Beschränkung der Vertragsfreiheit, da der Versicherungsnehmer der Kreditversicherung typischerweise hinreichend geschäftskundig ist und für seine Interessen selbst sorgen kann.
Aufsichtsrechtlich ist die Warenkreditversicherung gem. § 10 VAG Anlage 1 Nr. 14 der Kreditversicherung zugeordnet.
Rz. 7
Die Allgemeinen Bedingungen für die Warenkreditversicherung (AVB WKV) und die Ausfuhrkreditversicherung (AVB AKV), wie die Versicherung von Forderungen gegen ausländische Schuldner bezeichnet wird, waren lange Zeit in den Grundzügen bei allen deutschen Versicherungen einheitlich gestaltet.
Mittlerweile hat jeder Versicherer individuell formulierte, meist modulare, Policenbedingungen. Jedoch sind die AVB in ihren Grundlagen inhaltliche Basis für jede Kreditversicherungspolice.
Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die veralteten Allgemeinen Bedingungen für die Warenkreditversicherung (Atradius-AVB WKV 04) und die Allgemeinen Bedingungen für die Ausfuhrkreditversicherung (Atradius-AVB AKV 04) im Download.
Die Regelungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unterliegen der Kontrolle der §§ 305 ff. BGB. Die Inhaltskontrolle beschränkt sich grundsätzlich auf die Generalklausel des § 307 BGB.
B. Besonderer Teil
I. Versicherungsvertrag
Rz. 8
Der Versicherungsvertrag (Police, Mantelvertrag) zwischen dem Versicherungsnehmer (Lieferant/Dienstleister) und dem Kreditversicherer bildet den Rahmen der Kreditversicherung. Darin sind die grundsätzlichen Bestimmungen über Umfang des Versicherungsschutzes, gegenseitige Vertragspflichten (Obliegenheiten), Eintritt des Versicherungsfalls usw. geregelt. Der Versicherer ist jedoch berechtigt, im Rahmen der Kreditlimitentscheidung (siehe Rdn 12) abweichende Bedingungen zur Voraussetzung für die Übernahme des Deckungsschutzes zu machen.
Rz. 9
Während beim Geldk...