Rz. 52

Die Vertreterhaftung nach § 85 Abs. 2 ZPO bezieht sich nur auf den Vertreter selbst, nicht aber auf dessen Hilfspersonal.[101] Aus diesem Grunde steht ein Verschulden des Büropersonals der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht entgegen.

 

Rz. 53

Das Verschulden des Büropersonals kann sich jedoch als erhebliches Eigenverschulden des Rechtsanwalts in seiner Eigenschaft als Vertreter nach § 85 Abs. 2 ZPO darstellen, wenn das Verhalten des Personals zurückgeht auf ein

Auswahlverschulden des Rechtsanwalts bezüglich des Personals,

ein Organisationsverschulden des Rechtsanwalts,

 

Hinweis

Ein wesentliches Organisationsverschulden kann darin liegen, dass der Rechtsanwalt nicht für eine zuverlässige Fristenkontrolle Sorge getragen hat.[102] Er muss also durch entsprechende allgemeine Anweisungen und Weisungen im Einzelfall sicherstellen, dass bei einem normalen Gang der Dinge die von ihm verfügten Fristen eingetragen und beachtet werden, so dass Fristversäumnisse vermieden werden.[103] Die Anweisungen sollten dabei so weit wie möglich dokumentiert werden, d.h. insbesondere die allgemeinen Anweisungen. Dabei kann der Rechtsanwalt sodann auf die Einhaltung seiner konkreten und unmissverständlichen Anweisungen durch Angestellte, die aufgrund ihrer Ausbildung und ihres bisherigen Verhaltens als zuverlässig anzusehen sind, vertrauen.[104]

ein Belehrungsverschulden des Rechtsanwalts,

 

Praxistipp

Der Rechtsanwalt sollte alle Mitarbeiter regelmäßig und neue Mitarbeiter unmittelbar über alle maßgeblichen Fristen, die Fristenfeststellung, -eintragung und -kontrolle belehren. Die Belehrung sollte schriftlich fixiert werden und in den Kanzleiräumen zur Verfügung stehen. Auch sollten alle Mitarbeiter unverzüglich bestätigen, dass eine mündliche Belehrung erfolgt ist und Kenntnis über den Ort der schriftlichen Niederlegung besteht. Dies sollte mit jeder "Auffrischung" wiederholt werden. Diese Aufgabe kann auch ein Dritter im Rahmen von In-House-Seminaren übernehmen.[105] Die letzte ausführliche Belehrung darf dabei nicht vor dem Inkrafttreten der ZPO-Reform liegen, da eine Vielzahl von Fristenbestimmungen mit dieser Reform einer Änderung unterzogen worden sind. Empfehlenswert aber auch ausreichend ist eine jährliche Belehrung aller Mitarbeiter zur Fristenkontrolle sowie eine regelmäßige Unterrichtung über Neuerungen. Unabdingbar ist eine umfassende Belehrung neuen Personals sowie von Mitarbeitern, denen erstmals Aufgaben in der Fristenkontrolle übertragen werden.

ein Überwachungsverschulden des Rechtsanwalts.
 

Rz. 54

Kein Verschulden des Rechtsanwalts, sondern ein ihm und damit auch der Partei nicht zurechenbares Verschulden eines Dritten liegt vor, wenn der Rechtsanwalt einer bisher zuverlässigen Bürokraft eine konkrete Einzelweisung erteilt hat, deren Einhaltung die Frist gewahrt hätte. Der Rechtsanwalt darf hier darauf vertrauen, dass seiner Einzelweisung Folge geleistet wird.[106]

 

Rz. 55

 

Hinweis

Dies ist insbesondere dann als problematisch anzusehen, wenn mit der Einzelweisung in die sonst bestehende Organisation eingegriffen wird.[107]

 

Rz. 56

Der BGH hat es als zulässig angesehen, die Einzelanweisung zu erteilen,

den Namen des Rechtsmittelführers zu korrigieren, die erste Seite der Rechtsmittelschrift sodann auszutauschen und die gesamte Rechtsmittelschrift dann per Fax zu versenden,[108]
die Postleitzahl des ortsansässigen Gerichts nochmals zu kontrollieren und ggf. zu korrigieren und den Schriftsatz sodann zu versenden,[109]
eine auf einem Handzettel notierte Frist im Fristenkalender einzutragen.[110]
 

Rz. 57

Eine generelle Verpflichtung des Rechtsanwalts, sich der Ausführung seiner Einzelanweisung nochmals zu versichern, hat der BGH nicht gesehen.[111] Gleichzeitig hat er aber die Kontrolle der Ausführung einer Anweisung auf unmittelbare Übermittlung einer Berufungsschrift am Vormittag angenommen.[112] Im Zweifelsfall sollte die Anweisung deshalb kurz notiert und deren Ausführung später noch einmal abgefragt werden.

 

Rz. 58

 

Hinweis

Etwas anderes gilt bei zentralen Vorgängen, wie der Eintragung einer dem Hilfspersonal nur mündlich mitgeteilten Rechtsmittelfrist. Hier müssen organisatorische Vorkehrungen getroffen sein, damit die Frist nicht in Vergessenheit gerät. Etwa die Anordnung eines Vier-Augen-Prinzips für die Eintragung der Frist durch die erste Person und die Kontrolle der Eintragung und das Ablegen der Handakte durch eine zweite Person unter gleichzeitiger Anweisung, dass alle Handakten täglich abzulegen sind.

 

Rz. 59

Bei Verwendung des elektronischen Rechtsverkehrs ist Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen, wenn der Schriftsatz vor Zulassung nach § 130a ZPO bzw. der VO nach § 130a Abs. 2 a.F ZPO elektronisch übermittelt wird.[113] Ist auf Seiten der Justiz der Empfang gestört, stellt dies einen Wiedereinsetzungsgrund dar.[114] Anders hingegen, wenn ein Defekt am Absendergerät vorliegt.[115] Wird der Empfang nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO nicht bestätigt, ist bei dem Gericht nachzufragen und ggf. f...

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