Eberhard Rott, Dr. Michael Stephan Kornau
Rz. 50
"Es kommt immer anders, als man denkt". Diese alte Spruchweisheit gilt auch bei der Testamentsvollstreckung. Selbst ein vorangegangenes perfektes Estate Planning und eine präzise juristische Gestaltung der letztwilligen Verfügung einschließlich der Anordnung der Testamentsvollstreckung können Komplikationen, die sich aufgrund menschlicher Schwächen des Erblassers ergeben, nicht immer verhindern. Die nachfolgenden Situationen sind geradezu typisch, können aber naturgemäß nur eine beschränkte Auswahl darstellen. Bemerkenswert dabei ist, wie recht einfache Lebenssachverhalte komplexe juristische Folgen nach sich ziehen können.
I. Zusätzliche Erben melden sich
Rz. 51
Ein geradezu klassischer Fall: Die Sünden der Vergangenheit holen Graf Koks ein. Es meldet sich der aus einer außerehelichen Beziehung stammende Sohn Emil Steiner, ein pikantes Detail, das Graf Koks zu Lebzeiten stets vor seiner Gattin zu verheimlichen wusste.
1. Wie kann es dazu kommen?
Rz. 52
Vor einem Notar errichtete Testamente werden stets in die besondere amtliche Verwahrung beim Nachlassgericht am Wohnort des Testierenden gegeben. Über die Verwahrung wird ein Hinterlegungsschein ausgestellt. Außerdem informiert das Nachlassgericht das Geburtsstandesamt des (künftigen) Erblassers automatisch über jedes bei ihm in die Verwahrung gegebene Testament. Das Geburtsstandesamt ist zeitlebens Anlaufstelle für alle wichtigen Informationen betreffend den Personenstand der in seinem Zuständigkeitsbereich geborenen Person. Auch nichteheliche Abkömmlinge werden dort vermerkt.
Rz. 53
Der Todesfall eines Menschen wird automatisch an sein Geburtsstandesamt gemeldet. Aufgrund der Information, die das Geburtsstandesamt von der Hinterlegung des Testamentes hat, wird die Nachricht vom Tod an das Nachlassgericht weitergeleitet, gemeinsam mit den Informationen über die Abkömmlinge oder sonstigen gesetzlichen Erben. Das hinterlegte Testament wird eröffnet. Auch wenn es Graf Koks zu seinen Lebzeiten gelungen ist, seinen außerehelichen Sohn vor seiner Ehefrau geheimzuhalten, im Todesfall wird sein Sohn als gesetzlicher Erbe durch das Nachlassgericht vom Ableben des Vaters unterrichtet.
2. Welche rechtlichen Probleme stellen sich?
Rz. 54
Nichteheliche Abkömmlinge sind erbrechtlich den ehelichen Nachkommen gleichgestellt. Im Testament des Grafen Koks heißt es zur Erbfolge: "Erben meines Vermögens sollen meine Kinder nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge werden." Folglich besteht die Erbengemeinschaft nicht nur, wie ursprünglich angenommen, aus den ehelichen Kindern Max und Moritz, sondern gemeinsam mit dem nichtehelichen Kind Emil Steiner. Am Nachlass sind sie zu gleichen Teilen beteiligt, also mit je ⅓, und zwar vom Zeitpunkt des Todes des Grafen Koks an.
Rz. 55
Erbengemeinschaften zwischen ehelichen und nichtehelichen Abkömmlingen oder sonstigen "Patchwork-Verhältnissen" sind psychologisch in besonderem Maße streitbelastet. Die "legitimen" Kinder neigen dazu, das nichteheliche Kind als Eindringling in ihre Familien- und Vermögenssphäre zu empfinden. Umgekehrt reagiert das nichteheliche Kind als Ausgegrenzter. Dieses Streitpotential hat immer auch Auswirkung auf die Testamentsvollstreckung. Zum einen wird es bei einer zerstrittenen Erbengemeinschaft nicht einfacher, eine befriedigende Erbauseinandersetzung herbeizuführen. Zum anderen könnten die ehelichen Erben, ggf. aber auch der nichteheliche Erbe versucht sein, das Testament wegen des Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) oder wegen Irrtums des Erblassers bei der Testierung (§ 2078 BGB) anzufechten. Führt eine solche Anfechtung zur Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung, so kann davon auch die Anordnung der Testamentsvollstreckung betroffen sein mit der Folge, dass die Testamentsvollstreckung wegfällt und die bisherige Testamentsvollstreckung nach den Grundsätzen der vermeintlichen Testamentsvollstreckung zu beurteilen ist.
Rz. 56
Im vorliegenden Fall ist der testamentarischen Verfügung des Grafen Koks nicht zu entnehmen, dass er seinen unehelichen Abkömmling anders behandelt wissen wollte als seine ehelichen Kinder. Das Auftreten des Emil Steiner erschwert daher zwar die Aufgaben des Testamentsvollstreckers, hat aber keine Auswirkungen auf die Anordnung der Testamentsvollstreckung als solche.
Rz. 57
Handlungsempfehlung für den Testamentsvollstrecker
Die Verwaltungsvereinbarung wurde bislang lediglich zwischen dem Testamentsvollstrecker und den Erben Max und Moritz Graf von Koks abgeschlossen. Es ist daher dringend anzuraten, in die Vereinbarung nunmehr auch Emil Steiner einzubeziehen und die Vereinbarung ggf...