Angelika Wimmer-Amend, Michael Merten
Rz. 197
Alle natürlichen Personen, die einen Insolvenzantrag über ihr Vermögen stellen, haben die Möglichkeit, zugleich einen Antrag nach den Vorschriften der §§ 287 ff. InsO zu stellen und Restschuldbefreiung zu erlangen. Dies gilt nicht nur für Verbraucher, sondern auch für Unternehmer. Restschuldbefreiung wird dem Schuldner selbst dann erteilt, wenn er in der gesamten Laufzeit keinen Beitrag zu einer Schuldentilgung erbringen kann, sofern er seine Pflichten und Obliegenheiten erfüllt.
Nur der redliche Schuldner soll die Möglichkeit der Restschuldbefreiung erhalten. Daher sind gem. § 302 Nr. 1 bis 3 InsO bestimmte Verbindlichkeiten ausgenommen, beispielsweise solche, die aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrühren.
Der Schuldner, der einen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt hat, hat die Möglichkeit, die Verfahrenskostenstundung nach den Vorschriften der §§ 4a ff. InsO zu beantragen, wenn er zur Aufbringung der Kosten nicht in der Lage ist.
1. Abgrenzung zum Regelinsolvenzverfahren
Rz. 198
Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist eine spezielle Insolvenzverfahrensart gem. §§ 304 ff. InsO, welche nur zulässig ist, wenn der Insolvenzschuldner eine natürliche Person ist und nicht selbstständig wirtschaftlich tätig ist. Es wird daher oft als Privatinsolvenzverfahren bezeichnet. Das Regelinsolvenzverfahren hingegen steht nur "Nichtverbrauchern" offen.
Alle natürlichen Personen, die einen Eigenantrag stellen – sowohl Verbraucher als auch Nichtverbraucher –, haben die Möglichkeit, zusammen mit dem Insolvenzantrag die Durchführung eines Restschuldbefreiungsverfahrens zu beantragen. Wichtig ist jedoch, dass der Schuldner den Antrag auf Eröffnung der für ihn zutreffenden Verfahrensart (Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahren) stellt bzw. – wenn sich herausstellt, dass die falsche Verfahrensart beantragt wurde – die Überleitung in die zutreffende Verfahrensart beantragt.
Ein ehemals selbstständig tätig gewesener Schuldner ist nur dann als "Verbraucher" i.S.d. § 304 InsO zu qualifizieren, wenn seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind, d.h. wenn er weniger als 20 Gläubiger hat (§ 304 Abs. 2 InsO), und wenn gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Relevant ist nicht die Anzahl der einzelnen Forderungen, sondern der verschiedenen Gläubiger. Der Begriff der Verbindlichkeiten aus (ehemaligen) Arbeitsverhältnissen ist weit auszulegen. Er umfasst nicht nur zivilrechtliche Forderungen der Arbeitnehmer, sondern auch Forderungen auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, die durch ein Arbeitsverhältnis veranlasst sind.
Die Vermögensverhältnisse des Schuldners können auch dann, wenn der Schuldner weniger als 20 Gläubiger hat, ausnahmsweise als unübersichtlich angesehen werden, etwa dann, wenn der Schuldner an verschiedenen Gesellschaften beteiligt ist, eine Vielzahl ausländischer Gläubiger vorliegt, die Forderungen rechtlich zweifelhaft sind oder sich bereits bei Stellen des Insolvenzantrags evidente Anhaltspunkte für das Vorliegen komplizierter Anfechtungstatbestände ergeben. Unüberschaubarkeit kann auch vorliegen, wenn die einzelnen Forderungen eine beträchtliche Höhe erreichen. Wer nicht selbstständig tätig ist und auch nie eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hat, unterliegt stets dem Anwendungsbereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens, auch wenn er ein großes Vermögen oder zahlreiche Gläubiger hat.
Unterschiede zum Regelinsolvenzverfahren bestehen vornehmlich aus Sicht des Schuldners, nämlich hinsichtlich der Antrags- und Zulässigkeitsvoraussetzungen. (Zusätzliche) Zulässigkeitsvoraussetzung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens ist insbesondere die Durchführung und das von einer geeigneten Person oder Stelle bescheinigte Scheitern eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Insolvenzantrag, § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Für unmittelbar oder mittelbar beteiligte Dritte ist die Verfahrensart (Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahren) nicht von wesentlicher Bedeutung.
Stellt ein Gläubiger einen Insolvenzantrag, so muss der Gläubiger nicht prüfen, welche Verfahrensart zulässig ist. Die richtige Verfahrensart wird in diesem Fall von dem Insolvenzgericht ermittelt.
Unabhängig davon, welcher Verfahrensart der Insolvenzschuldner unterliegt, gibt das Insolvenzgericht dem Insolvenzschuldner bei einem Fremdantrag Gelegenheit, einen Eigenantrag zu stellen, um auf diese Weise Restschuldbefreiung erlangen zu können. Ist der Insolvenzschuldner ein Verbraucher i.S.d. §§ 304 ff. InsO und macht er von dieser Gelegenheit Gebrauch, so ruht das Verfahren, weil der Insolvenzschuldner zunächst den außergerichtlichen Einigungsversuch mit seinen Gläubigern durchzuführen hat, §§ 305, 305a InsO.