Angelika Wimmer-Amend, Michael Merten
A. Beratung des Schuldners oder geschäftsführender Organe im Vorfeld eines drohenden Insolvenzverfahrens
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 1
Mandant M ist Geschäftsführer der A-GmbH. Geschäftsgegenstand ist der Handel mit Baustoffen. Zu dem firmeneigenen Fuhrpark gehören vier Kraftfahrzeuge. Außerdem sind drei Fahrzeuge geleast. Der Betriebssitz befindet sich auf einem Grundstück, welches M kurz vor der Geschäftsgründung geerbt und in die Gesellschaft eingebracht hat. Vor fünf Jahren hat die A-GmbH zusätzlich Büroräume in der Stadt angemietet. Die Mietverträge haben eine Laufzeit von zehn Jahren. Wegen der Ansiedlung einer Konkurrenzfirma in der Nachbarschaft hat die A-GmbH vor etwa zwei Jahren einige Stammkunden verloren und dadurch Umsatzeinbußen erlitten. Bislang wurden die stetig einbrechenden Umsätze durch den Kontokorrentkredit bei der Hausbank aufgefangen. Der Vertrag wurde gekündigt. Verschiedene Kunden haben ihre Rechnungen nicht bezahlt. Die Miete ist rückständig, die Steuergläubiger haben Verbindlichkeiten aus Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuer angemahnt.
M möchte wissen, ob und wenn ja, welche Zahlungen er aus den voraussichtlich im kommenden Monat eingehenden Geldern leisten sollte.
Der Gesellschafter der A-GmbH, der bereits vor einiger Zeit zur Krisenbewältigung mit einem Darlehen eingesprungen war, möchte sein Geld zurück und droht anderenfalls damit, seinerseits einen Insolvenzantrag über das Vermögen der A-GmbH zu stellen.
M fürchtet, dass einige Mitarbeiter zur Konkurrenz wechseln, wenn die Gehälter nicht bezahlt werden. Nach Einschätzung des M könnte die A-GmbH nach Neuordnung weitergeführt werden. Einer geordneten Sanierung steht aber schon jetzt der Druck der Bank und des Vermieters entgegen.
M hat nichts dagegen, wenn das Geschäft an einen neuen Inhaber übertragen wird.
Nunmehr möchte M wissen,
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ob die A-GmbH tatsächlich schon "insolvenzreif" ist und in diesem Falle sofort ein Insolvenzantrag zu stellen ist, |
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ob und unter welchen Voraussetzungen ihm bei der Stellung eines Insolvenzantrages ein Gläubiger oder sogar der Gesellschafter der A-GmbH zuvorkommen kann, |
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ob strafrechtliche Risiken bestehen, |
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ob im Fall einer Insolvenz sein Grundstück mit eingebunden ist. |
Abwandlung: Der Mandant führt den Baustoffhandel als Einzelunternehmer. Er möchte wissen,
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ob er verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, |
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ob und unter welchen Voraussetzungen ihm bei der Stellung eines Insolvenzantrages ein Gläubiger zuvorkommen kann, |
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ob strafrechtliche Risiken bestehen, |
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ob im Fall eines Insolvenzverfahrens sein Privatvermögen mit eingebunden ist. |
II. Rechtliche Grundlagen
1. Gesetzliche Grundlagen und Ziele des Insolvenzrechts
Rz. 2
Das Insolvenzrecht ist Gesamtvollstreckungsrecht. Ziel ist gem. § 1 InsO die bestmögliche, gemeinschaftliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Dieses kann durch die Verwertung des Schuldnervermögens und Verteilung des Erlöses oder im Rahmen eines Insolvenzplans durch eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens erreicht werden. Überdies räumt die Insolvenzordnung dem redlichen Schuldner als natürliche Person die Chance der Restschuldbefreiung ein.
Es gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger von Insolvenzforderungen (par conditio creditorum). Sonderrechte bestehen für Gläubiger mit Absonderungsrechten (§§ 48, 49, 114 InsO), für Gläubiger, die zur Aufrechnung berechtigt sind, § 94 ff. InsO, sowie für bestimmte Steuerverbindlichkeiten, die im Insolvenzeröffnungsverfahren begründet worden sind, § 55 Abs. 4 InsO.
2. SanInsFoG
Rz. 3
Bedeutende Änderungen hat das deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht zuletzt durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG erfahren. Kernstück der Reform ist das am 1.1.2021 in Kraft getretene Unternehmensstabilisierungs- und -Restrukturierungsgesetz – StaRUG, welches Unternehmen insolvenzabwendende Sanierungen auf der Grundlage eines von den Gläubigern außerhalb eines Insolvenzverfahrens mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplans ermöglichen soll. Die Änderungen der InsO nach Art. 5 SanInsFoG betreffen in erster Linie die Insolvenzgründe, das Insolvenzplan- sowie das Eigenverwaltungsverfahren. Es ist zu beachten, dass auf Insolvenzverfahren, die vor dem 1.1.2021 beantragt worden sind, die bis dahin geltenden Vorschriften anzuwenden sind, Art. 103m EGInsO. Nachfolgend wird die Rechtslage für ab dem 1.1.2021 beantragte Insolvenzverfahren zugrunde gelegt. Die für bis zum 31.12.2020 beantragte Insolvenzverfahren geltende (alte) Rechtslage wird – soweit erforderlich – in Fußnoten erläutert.
3. Insolvenzantrag und Insolvenzgründe
Rz. 4
Das Insolvenzverfahren wird nicht von Amts wegen, sondern nur auf schriftlichen Antrag eröffnet. Antragsberechtigt sind die Gläubiger und der Schuldner, § 13 Abs. 1 InsO.
Zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt es nur dann, wenn ein Insolvenzgrund gem. §§ 17, 18 oder 19 InsO vorliegt (siehe Rdn 10 ff.). Im Falle des Eigenantrags kann dies neben der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit auch die drohende ...