Dr. Daniel Faulenbach, Peter Friedhofen
Rz. 72
Wichtig ist die Entscheidung des BAG vom 24.9.2003. Erwirkt der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht die Verurteilung des Arbeitgebers zur vorläufigen Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits, so ist ihm mangels besonderer, von ihm darzulegender Umstände nicht unzumutbar (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 KSchG), der Aufforderung des Arbeitgebers nachzukommen, die Beschäftigung entsprechend der arbeitsgerichtlichen Entscheidung vorläufig wieder aufzunehmen.
Rz. 73
Praxishinweis
Der Verfasser empfiehlt dringend die Lektüre von Tatbestand und Entscheidungsgründen der vorzitierten Entscheidung.
Rz. 74
Der mehr als 20 Jahre bei der Beklagten beschäftigte Kläger hatte am 14.11.2000 einen Wortwechsel mit dem ihm vorgesetzten Prokuristen. Dabei schrie der Kläger den Prokuristen im Beisein einer Arbeitskollegin an, er sei "das größte A..., das im Betrieb rumlaufe". Die Beklagte kündigte fristlos und hilfsweise fristgerecht. Das Arbeitsgericht erkannte auf Unwirksamkeit der außerordentlichen und vorsorglich ordentlichen Kündigung und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Weiterbeschäftigung des Klägers. Dieses Urteil wurde der Beklagten am 30.3.2001 zugestellt. Am 29.3.2001 schrieb die Beklagte an den Kläger: "Aufgrund des ergangenen Teilurteils fordern wir Sie hiermit auf, ihre Beschäftigung mit sofortiger Wirkung wieder aufzunehmen. Verstehen Sie diese Beschäftigung nicht als normale Weiterbeschäftigung, sondern als Prozessbeschäftigung, geltend bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens."
Rz. 75
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers antwortete darauf am Dienstag, 6.4.2001: "Unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 29.3.2001 teilen wir Ihnen mit, dass unser Mandant an einem Prozessrechts-Arbeitsverhältnis nicht interessiert ist. Sie haben unserem Mandanten verhaltensbedingt gekündigt. Zu der Annahme eines Prozessrechts-Arbeitsverhältnisses ist er damit auch nicht verpflichtet."
Rz. 76
Der Kläger hat bis zur Revisionsinstanz geltend gemacht, die Beklagte habe sich im Anspruchszeitraum in Annahmeverzug befunden. Auf die geschuldete Arbeitsvergütung sei nur das gezahlte Arbeitslosengeld, aber nichts unter dem Gesichtspunkt des böswilligen Unterlassens eines anderweitigen Erwerbs anzurechnen. Ihm sei es nicht zumutbar gewesen, das Angebot auf Weiterbeschäftigung in einem "Prozessrechtsarbeitsverhältnis" anzunehmen. Die Beklagte habe eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung aufgrund einer persönlichen Auseinandersetzung ausgesprochen und an dieser Kündigung festgehalten.
Rz. 77
Das BAG hat erkannt, dass sich die Beklagte im Streitzeitraum zwar im Annahmeverzug mit der Rechtsfolge des § 615 S. 1 BGB befunden habe, der Kläger sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen müsse, was er bei der Beklagten zu erwerben unterlassen hat (§ 11 S. 1 Nr. 2 KSchG). Die Anrechnung entspreche der vereinbarten Vergütung, sodass der Kläger nichts mehr verlangen könne. Der Annahmeverzug wurde im Streitfall nicht durch einen für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits befristeten neuen Arbeitsvertrag zu den bisherigen Bedingungen oder eines durch die rechtskräftige Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung auflösend bedingte Fortsetzung des Vertrages beendet. Zwar kann der Kläger nach § 615 S. 1 BGB von der Beklagten die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Sowohl nach § 615 S. 2 BGB als auch nach § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG müsse sich der Arbeitnehmer auf den Annahmeverzugslohn den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er durch anderweitige Verwendung seiner Dienste zu erwerben böswillig unterlässt. Der Arbeitnehmer unterlasse böswillig anderweitigen Verdienst, wenn er vorsätzlich ohne ausreichenden Grund Arbeit ablehne oder vorsätzlich verhindere, dass ihm Arbeit angeboten werde. Böswilligkeit setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer in der Absicht handelt, den Arbeitgeber zu schädigen. Es genügt das vorsätzliche Außerachtlassen einer dem Arbeitnehmer bekannten Gelegenheit zur Erwerbsarbeit. Die vorsätzliche Untätigkeit muss vorwerfbar sein. Eine Anrechnung kommt auch in Betracht, wenn der Arbeitgeber, der sich mit der Annahme der Dienste in Verzug befindet, Arbeit anbietet. Dies gilt insbesondere für den Fall einer bis zur endgültigen Entscheidung des Kündigungsrechtsstreits befristeten Weiterbeschäftigung zu denselben Arbeitsbedingungen. Allein darauf abzustellen, dass der Arbeitgeber das Arbeitsangebot nicht in Erfüllung des bisherigen Arbeitsvertrages abgibt, würde dem flexiblen Maßstab der Zumutbarkeit nicht gerecht. Der Kläger musste die etwa noch bestehende Gefahr von Unzuträglichkeiten einer Beschäftigung vor einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung schon deswegen aushalten, weil er in Kenntnis aller Umstände die Verurteilung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits beantragt und erwirkt hatte. Mit seiner Antragstellung im Termin vom hat er bekundet, dass ihm die vorläu...