Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 396
Das deutsche Arbeitsrecht unterscheidet zwischen Arbeitsbereitschaft (in der der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein und jederzeit bereit sein muss, in den Arbeitsprozess einzugreifen), Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. Bereitschaftsdienst ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber festgelegten Stelle (z.B. Dienstzimmer) innerhalb oder außerhalb des Betriebes aufzuhalten hat, um bei Bedarf seine volle Arbeitstätigkeit unverzüglich aufzunehmen. Er beschränkt den Arbeitnehmer mithin in der Wahl seines Aufenthaltsortes und verpflichtet ihn zugleich, jederzeit auf Abruf tätig zu werden (BAG v. 24.10.2000, NZA 2001, 449). Dieser qualitative Unterschied rechtfertigt es, für den Bereitschaftsdienst eine andere Vergütung vorzusehen als für die Vollarbeit. Der Mindestlohn muss aber eingehalten werden (BAG v. 11.10.2017 – 5 AZR 591/16). Die Arbeitsbereitschaft ist damit ihrem Wesen nach eine Aufenthaltsbeschränkung, bei der der Arbeitnehmer bereit sein muss, aus dem Zustand der wachen Aufmerksamkeit zur Arbeit gerufen zu werden. Die Rufbereitschaft verpflichtet den Arbeitnehmer ebenfalls, auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Er kann sich hierfür an einem Ort seiner Wahl aufhalten, der dem Arbeitgeber anzuzeigen ist oder von dem aus er über "Piepser" oder "Handy" jederzeit erreichbar ist (BAG v. 19.12.1991, NZA 1992, 560). Eine Vergütung für das Abrufen oder Bearbeiten von E-Mails kann nur verlangt werden, wenn die mobile Arbeitsleistung die Schwelle der zeitlichen Geringfügigkeit überschreitet. Die betriebliche Nutzung von Mobile Devices kann aber zu einer Verschiebung der Ruhezeit und infolgedessen zu einem Arbeitsausfall führen.
Rz. 397
Der EuGH stellte am 3.10.2000 fest, dass Bereitschaftsdienst spanischer Ärzte am Arbeitsort Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeit-RL 93/104/EG a.F. (jetzt RL 2003/88/EG) darstellt (EuGH v. 3.10.2000, NZA 2000, 1227 – Sindicato de Médicos/Conselleria – "SIMAP"). Dies ist unabhängig davon, welche Arbeitsleistungen während des Bereitschaftsdienstes erbracht werden (EuGH v. 1.12.2005, NZA 2006, 89 – Dellas). Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft werden dagegen als Ruhezeit behandelt, mit Ausnahme des Teiles der Dienstzeit, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich seine beruflichen Aufgaben wahrgenommen hat (EuGH v. 3.10.2000, NZA 2000, 1227). Das deutsche ArbZG a.F. widersprach zudem der RL 93/104/EG (Klage des Kieler Chirurgen Dr. Norbert Jaeger, EuGH v. 9.9.2003, NZA 2004, 1145 – Jaeger). Seit der Neufassung des ArbZG ab 1.1.2004 werden Bereitschaftsdienste vom BAG als Arbeitszeit anerkannt (BAG v. 21.11.2006, NZA 2007, 446 = DB 2007, 1359). Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit i.S.v. § 2 ArbZG (BAG v. 16.12.2009, NZA 2010, 505 = BB 2010, 696; BAG v. 15.7.2009 – 5 AZR 867/08) und daher bei der Bestimmung der Dauer von gesetzlichen Ruhepausen als Arbeitszeit zu berücksichtigen.
Rz. 398
Die Übergangsregelung für tarifliche Regelungen zum Bereitschaftsdienst in § 25 ArbZG lief zum 31.12.2006 aus, sodass eine tarifvertragliche Abweichung zulasten der Arbeitnehmer nicht mehr zulässig ist.
Rz. 399
Ein Arbeitnehmer kann aufgrund des Arbeitsvertrages, einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrages verpflichtet sein, Bereitschaftsdienste zu leisten.
Rz. 400
Der Entwurf zur Änderung der Arbeitszeit-RL 2003/88/EG (v. 31.5.2005, KOM 2005, 246 endg.) unterscheidet aufgrund der Entscheidungen des EuGH (v. 3.10.2000 und v. 9.9.2003) zwischen aktiver und inaktiver Zeit während des Bereitschaftsdienstes. Das EU-Parlament stimmte Ende 2008 jedoch gegen die von den EU-Arbeitsministern vorgeschlagene Änderung.
Rz. 401
Dem Arbeitnehmer dürfen aus der Verweigerung seiner Zustimmung zu einer solchen Regelung keine Nachteile entstehen. Seine Zustimmung gilt nur für ein Jahr und muss anschließend verlängert werden. Die Wochenarbeitszeit darf danach, solange die Sozialpartner nicht etwas anderes vereinbaren, 60 Stunden, wenn dem Arbeitnehmer nach Art. 2a Arbeitszeit-RL inaktive Zeit während des Bereitschaftsdienstes auf die Arbeitszeit angerechnet wird 65 Stunden, nicht übersteigen.
Rz. 402
Das LAG Frankfurt am Main (v. 6.11.2007 – 12 Sa 1606/06, n.v.) hat entschieden, dass eine ordentliche Kündigung wegen der Weigerung eines Mitarbeiters, an Wochenenden Rufbereitschaft zu leisten, unwirksam ist. Dies gilt zumindest, wenn es an einer entsprechenden arbeitsvertraglichen oder kollektivrechtlichen Verpflichtung zur Ableistung solcher Dienste fehlt (grundlegend hierzu BAG v. 25.10.1989, NZA 1990, 561).
Rz. 403
Die Verpflichtung zur Leistung von Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften besteht daher nur auf Grundlage von besonderer arbeitsvertraglicher oder kollektivrechtlicher Vereinbarung (ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 832). Ist für einen Angestellten rechtswirksam Bereitschaftsdienst im Anschluss an die Regelarbeitszeit angeordnet, kann der Arbeitgeber, wenn über den Ablauf der Regelarbeitszeit hinausgehend noch Arbeit anfällt, den bereits festgelegten Bereitschaftsdienst in Anspruch n...