Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 1642
Jeder Arbeitnehmer in Deutschland hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub (§ 1 BUrlG). Der Anspruch an sich wie auch seine nähere Ausgestaltung wird durch das BUrlG und die einschlägigen Tarifverträge bestimmt. Es handelt sich um einen privatrechtlichen und persönlichen Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht bei Fortzahlung der Vergütung durch den Arbeitgeber.
Rz. 1643
Von besonderer Bedeutung für die Auslegung des nationalen Urlaubsrechts ist die Richtlinie des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitsgestaltung vom 23.11.1993 RL 93/104/EG (Arbeitszeit-Richtlinie), zuletzt neu gefasst durch die RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003. Nach dessen Art. 7 Abs. 1 hat jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen, nach Art. 7 Abs. 2 darf dieser Mindesturlaub außer im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses "nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden".
Rz. 1644
Vom Erholungsurlaub sind sonstige Beurlaubungen (= Dienstbefreiungen), die aus persönlichen Gründen (z.B. zur Stellensuche oder Heirat) oder zur Ausübung staatsbürgerlicher oder kirchlicher Rechte und Pflichten, zur Betriebs- und Personalratstätigkeit, aus Gründen des Mutterschutzes usw. gewährt werden, abzugrenzen. Diese Beurlaubungstatbestände dienen nicht der Erholung, werden also auf den Erholungsurlaub nicht angerechnet.
Rz. 1645
Arbeitnehmer i.S.d. BUrlG sind Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten (zum Arbeitnehmerbegriff s.a. § 16 Rdn 78 ff. und insb. in Abgrenzung zum freien Mitarbeiter § 16 Rdn 748 ff.). Als Arbeitnehmer gelten zudem Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind (§ 2 BUrlG). Heimarbeiter unterfallen der Sonderregelung des § 12 BUrlG. Der allgemeine Arbeitnehmerbegriff, der von Rspr. und Lehre entwickelt wurde, entspricht dem des § 2 BUrlG. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages oder eines ihm gleichgestellten Rechtsverhältnisses im Dienste eines anderen zur Arbeit verpflichtet ist und diese im Rahmen einer von einem Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Wer seine Tätigkeit nicht frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, ist unselbstständig und persönlich abhängig. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen der Tätigkeit als Arbeitnehmer und der als freier Mitarbeiter ist die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit, die Qualifizierung im Arbeits- oder Tarifvertrag kann Bedeutung haben (vgl. zuletzt BAG v. 17.10.2017 – 9 AZR 792/16, juris; BAG v. 30.8.2017 – 7 AZR 864/15, NJW 2018, 810). Inzwischen nimmt die Rspr. im Einzelfall auch für sog. Crowdworker im Fall engmaschiger Auftragsvorgaben in der Gesamtbetrachtung von § 611a Abs. 1 S. 25 BGB eine Tätigkeit als Arbeitnehmer an (vgl. zuletzt BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, NJW 2021, 1551).
Rz. 1646
Leiharbeitnehmer haben einen Anspruch auf Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub ggü. ihrem Vertragsarbeitgeber, dem Verleiher (§ 11 Abs. 1 S. 1 AÜG i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 NachwG). Ist der Arbeitsvertrag zum Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG wegen fehlender Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung rechtsunwirksam, wird nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis als zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer fingiert mit der Folge, dass sich der Urlaubsanspruch gegen den Entleiher richtet.
Rz. 1647
Urlaubsansprüche entstehen unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis nichtig ist, solange es faktisch besteht. Auf den Grund, der zur Unwirksamkeit führt – etwa fehlende Einwilligung bzw. Ermächtigung, Dissens, Formmangel, Verstoß gegen gesetzliches Verbot, Sittenwidrigkeit – kommt es nicht an. Bis zur Auflösung des faktischen Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer so zu behandeln, als ob ein wirksames Arbeitsverhältnis begründet worden wäre. Gleiches gilt für ein bloß anfechtbares Arbeitsverhältnis wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung, soweit die Anfechtung noch nicht erklärt worden ist.
Rz. 1648
Das BUrlG findet auf Aushilfsarbeitsverhältnisse Anwendung, wobei sich die Höhe des Urlaubsanspruches nach der Dauer des Aushilfsarbeitsverhältnisses richtet (BAG v. 19.7.1957 – 1 AZR 161/56, DB 1957, 899). Gem. §§ 4, 5 Abs. 1 BUrlG muss das Arbeitsverhältnis allerdings mindestens einen vollen Monat bestanden haben. Gleiches gilt für befristete und Probearbeitsverhältnisse sowie für Teilzeitarbeitsverhältnisse (BAG v. 10.9.1962, AP Nr. 1 zu Art. 9 UrlG Bayern; zur Beschäftigung an einem Tag pro Woche; BAG v. 15.11.2005 – 9 AZR 626/04, ArbRB 2006, 165). Steht ein Arbeitnehmer in mehreren Teilzeitarbeitsverhältnissen, so entsteht gegen jeden Arbeitgeber ein gesonderter Urlaubsanspruch, und zwar unabhängig davon, ob bei Durchführung von parallelen Teilzeitarbeitsverhältnissen gegen die Höchstarbeitszeitvorschriften verstoßen wurde. Soweit nicht dringende betriebliche Gründe dem entgegenstehen, sind die Arbeitgeber wegen § 7 Abs. 1 BUrlG gehalte...