Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 1674
Für den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub kann nach dem IAO-Übk Nr. 132 eine Mindestdienstzeit von bis zu sechs Monaten vorgeschrieben werden (Art. 5 Nr. 1, 2 IAO-Übk Nr. 132). Dieser Regelung wird entsprochen durch die in § 4 BUrlG festgeschriebene Wartezeit von sechs Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tage der tatsächlichen oder vereinbarten Arbeitsaufnahme. Fällt der Fristablauf nach sechs Monaten auf einen Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, endet die Wartezeit an diesem Tag; § 193 BGB findet insoweit keine Anwendung (BAG v. 29.1.1967, AP Nr. 1 zu § 4 BUrlG). Läuft die Wartezeit erst im nächsten Kalenderjahr ab, so werden die in beiden Urlaubsjahren zurückgelegten Zeiten addiert (BAG v. 29.1.1967, AP Nr. 1 zu § 4 BUrlG).
Rz. 1675
Beispiel
Das Arbeitsverhältnis beginnt (in einer 5-Tage-Woche) am 10.10.2021; vereinbart ist ein Jahresurlaub von 20 Tagen; die Wartezeit läuft am 9.4.2022 ab; somit stehen dem Arbeitnehmer am 9.4.2022 folgende Urlaubsansprüche zu:
Urlaubsjahr 2021: 20 : 12 x 2 = 3 Tage (§ 5 Abs. 1 Buchst. a), Abs. 2 BUrlG)
Urlaubsjahr 2022: 20 Tage (§ 4 BUrlG)
insgesamt: 23 Tage
Sollte das Arbeitsverhältnis nach erfüllter Wartezeit zum 30.6.2022 beendet werden, so hätte der Arbeitnehmer jedoch auch für das Urlaubsjahr 2022 nur einen Teilurlaubsanspruch gem. § 5 Abs. 1 Buchst. c) BUrlG, wobei zu viel gezahltes Urlaubsentgelt aber nicht zurückgefordert werden kann (§ 5 Abs. 3 BUrlG). Der Urlaubsanspruch berechnet sich in diesem Fall wie folgt:
Urlaubsjahr 2021: 20 : 12 x 2 =3 Tage (wie oben)
Urlaubsjahr 2022: 10 Tage (20 : 12 × 6 (§ 5 Abs. 1 Buchst. c) BUrlG])
insgesamt: 12 Tage
Rz. 1676
Für den Beginn der Wartezeit kommt es ausschließlich auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an, nicht aber darauf, ob der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung auch tatsächlich erbracht hat. Fälle verschuldeter oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis sind somit ohne Einfluss auf den Beginn bzw. den Lauf der Wartezeit. Gleiches ergibt sich, wenn die Arbeitsvertragsparteien unbezahlten Urlaub vereinbart haben (BAG v. 2.10.1974, AP Nr. 2 zu § 7 BUrlG Betriebsferien). Ob sich aus dem Rechtsgedanken des § 205 BGB ergibt, dass Zeiten des vereinbarten oder kraft Gesetzes eintretenden Ruhens des Arbeitsverhältnisses auf die Erfüllung der Wartezeit nicht angerechnet werden, ist im Schrifttum strittig (dafür Natzel, § 4 Rn 34; dagegen etwa Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, § 4 Rn 38 m.w.N.).
Rz. 1677
Wird das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet und ein neues Arbeitsverhältnis begründet, ist die Wartezeit unterbrochen, muss also im neuen Arbeitsverhältnis erneut in vollem Umfang zurückgelegt werden. Für das erste Arbeitsverhältnis bestehen allenfalls Teilurlaubsansprüche gem. § 5 Abs. 1 Buchst. b) BUrlG. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur zuzulassen, wenn beide Arbeitsverhältnisse bei wirtschaftlicher und soziologischer Betrachtung als einheitliches Arbeitsverhältnis zu bewerten sind (zur einheitlichen Auslegung der § 1 Abs. 1 KSchG, § 622 Abs. 2 BGB und des § 4 BUrlG vgl. BAG v. 6.12.1976 und 18.1.1979, AP Nr. 2, 3 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit). Im Fall eines Betriebsüberganges (§ 613a BGB) läuft die Wartezeit weiter, da der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt und das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht, wenn auch mit einem anderen Arbeitgeber (BAG v. 20.7.1982, AP Nr. 31 zu § 613a BGB). Gleiches gilt, wenn die Arbeitgeberstellung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergeht (§ 1922 BGB; §§ 339 ff., 359 AktG; § 1 UmwG). Zu den Besonderheiten der Urlaubsgewährung im Rahmen von Altersteilzeitarbeitsverhältnissen siehe § 28 Rdn 60.
Rz. 1678
Die gesetzliche oder tarifliche Anrechnung von Vordienstzeiten auf die Betriebszugehörigkeit wirkt sich nicht auf die sechsmonatige Wartezeit aus, sondern allenfalls auf die Höhe des Urlaubsanspruches bei gestaffelten Regelungen entsprechend der Betriebszugehörigkeit (BAG v. 12.8.1965, AP Nr. 5 zu § 9 BVSG NW; BAG v. 10.5.1989, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; BAG v. 14.5.1987, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit).
Rz. 1679
Wird ein Auszubildender nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses übergangslos in ein Arbeitsverhältnis übernommen, braucht er die Wartezeit des § 4 BUrlG nicht erneut zurückzulegen, weil beide Rechtsverhältnisse eine Einheit darstellen (BAG v. 29.11.1984, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG). Resturlaubsansprüche aus dem Ausbildungsverhältnis können nicht abgegolten werden, sondern gehen auf das Arbeitsverhältnis über.
Rz. 1680
Von § 4 BUrlG kann nur durch tarifliche Regelung zulasten des Arbeitnehmers abgewichen werden (§ 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG). Die tarifliche Regelung gilt auch zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn dies einzelvertraglich vereinbart (sog. tarifliche Bezugnahmeklausel) ist (§ 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG). Eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung (Verkürzung oder Entfallen der Wartezeit) kann einzelvertraglich vereinbart werden (Umkehrschluss...