Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 894
Nach § 280 BGB haftet der Schuldner für einen Schaden, wenn er eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt und er dies zu vertreten hat. Nach der Grundregel des § 276 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. In § 249 BGB sind die Bestimmungen zu Art und Umfang des Schadensersatzes geregelt, denen zu entnehmen ist, dass der schadensersatzpflichtige Schuldner grds. "in vollem Umfang" haftet. Gleiches gilt für die durch Delikt i.S.d. §§ 823 ff. BGB vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführten Schäden. Diese Haftungsregeln uneingeschränkt auch bei Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers anzuwenden, hatte die Rspr. schon seit Langem als unangemessen angesehen und deshalb bei gefahrgeneigter Arbeit, z.T. wird der Ausdruck "schadensgeneigte Arbeit" synonym verwendet, im Wege zulässiger Rechtsfortbildung Grundsätze zur Haftungserleichterung entwickelt (BAG v. 25.9.1957, BB 1957, 1000 = DB 1957, 947).
Rz. 895
Eine gefahrgeneigte Arbeit liegt vor, wenn die konkrete Tätigkeit es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, dass auch einem sorgfältigen Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, mit denen wegen der menschlichen Unzulänglichkeit erfahrungsgemäß zu rechnen ist (BAG v. 25.9.1957, BB 1957, 1000 = DB 1957, 947). Bei der Beurteilung, ob eine gefahrgeneigte Arbeit anzunehmen ist, stellt das BAG auf die jeweilige Situation ab, in der die Arbeit verrichtet wird. Es hat deshalb z.B. die Rechtsansicht verworfen, das Fahren eines Lastkraftwagens sei in jedem Fall und ohne Rücksicht auf die jeweilige Situation eine schadensgeneigte Arbeit (BAG v. 13.5.1970, BB 1970, 1009 = DB 1970, 1791). In derselben Entscheidung hat das BAG dies an einem weiteren Beispiel verdeutlicht und ausgeführt, von einer gefahrgeneigten Arbeit könne ausgegangen werden, wenn ein Bankkassierer an einem Schalter mit lebhaftem Publikumsverkehr laufend kleine und kleinste Beträge anzunehmen und auszuzahlen hat, während das Zählen von Geld ohne Zeitdruck und Ablenkung nicht als gefahrgeneigt einzustufen sei.
Rz. 896
In den Fällen gefahrgeneigter Arbeit hatte die Rspr. die Haftung des Arbeitnehmers bei fahrlässiger Schadensverursachung ggü. der gesetzlichen Ausgangslage wie folgt eingeschränkt:
Bei grober Fahrlässigkeit, d.h. wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste und wenn einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden mit anderen Worten: Wenn eine objektiv grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, hat der Arbeitnehmer i.d.R. den gesamten Schaden allein zu tragen.
Bei leichter Fahrlässigkeit, d.h. bei einer Fahrlässigkeitsstufe, die das typische Abirren (Sich-Vergreifen, Sich-Versprechen, Sich-Vertun) erfasst, haftet der Arbeitnehmer nicht.
Bei normaler Fahrlässigkeit, also bei mittlerem Verschuldensgrad, ist der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen. Ob und ggf. in welchem Umfang der Arbeitnehmer am Ersatz des Schadens zu beteiligen ist, richtet sich im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände, insb. von Schadensanlass und Schadensfolge, nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten.
Rz. 897
Die Privilegierung der Arbeitnehmerhaftung bei gefahrgeneigter Arbeit führte zu zahlreichen insb. höchstrichterlichen Entscheidungen, in denen es um die Abgrenzung zur nicht gefahrgeneigten Arbeit ging. Alle diese keineswegs immer einleuchtenden Abgrenzungsentscheidungen sind nunmehr weitgehend Makulatur. Nach jahrelangen Diskussionen in der Fachöffentlichkeit, nicht zuletzt auch auf dem Deutschen Juristentag 1986 in Berlin, ist es auf dem Gebiet der Arbeitnehmerhaftung zu einer weiteren Rechtsfortbildung gekommen: Mit Beschl. v. 12.6.1992 rief der Große Senat des BAG (DB 1992, 1424 = NZA 1993, 547) wegen insoweit abweichender Rechtsauffassung des BGH den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 RsprEinhG mit dem Ziel an, die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung für alle Arbeiten gelten zu lassen, die durch den Betrieb veranlasst sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, auch wenn sie nicht gefahrgeneigt sind. Nachdem der zuständige IV. Zivilsenat des BGH mit Beschl. v. 2.9.1993 (EzA § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 58a) sich der Rechtsauffassung des Großen Senats des BAG angeschlossen hatte, stellte der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes am 16.12.1993 das eingeleitete Verfahren nach § 14 S. 1 RsprEinhG ein (EzA § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 58a).
Rz. 898
Nach der damit akzeptierten Auffassung des Großen Senats des BAG gelten die unter Rdn 894 ff. dargestellten Grundsätze der Haftungserleichterung für Arbeitnehmer nunmehr für alle Arbeiten, die durch den Betrieb veranlasst sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, auch wenn sie nicht gefahrgeneigt sind (BAG v. 27.9.1994, DB 1994, 2237 = NZA 1994, 1083). Die Grundsätze ...