Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 1557
Im Gegensatz zum gesetzlichen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit gibt es nach dem TzBfG keinen bedingungslosen Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit. Normzweck des § 9 TzBfG ist es jedoch, den Wechsel von Teilzeit- in Vollzeitarbeit zu erleichtern. Der Arbeitgeber hat nach dem Wortlaut der Norm den Wunsch eines Teilzeitbeschäftigten nach Vollzeitbeschäftigung bei der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes "bevorzugt zu berücksichtigen". Falls die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind, bedeutet dies ein Abschlussgebot für den Arbeitgeber (BAG v. 8.5.2007 – 9 AZR 874/06).
Rz. 1558
Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber sein Aufstockungsverlangen nach der seit dem 1.1.2019 geltenden Neufassung des § 9 S. 1 TzBfG in Textform anzeigen. Eine Änderung des materiellen Rechts hat der Gesetzgeber mit der Neufassung jedoch nicht gewollt (BT-Drucks 19/3452, 16; BT-Drucks 19/5097, 16), sodass weiterhin die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze anzuwenden sind. Lediglich die Darlegungs- und Beweislast wurde neu auf den Arbeitgeber verteilt. Dieser muss nun geltend machen und beweisen, dass es sich nicht um einen entsprechenden freien Arbeitsplatz handelt und dass der Teilzeitarbeitnehmer nicht gleich geeignet ist wie ein anderer Bewerber. Der Arbeitnehmer muss also nur noch nachweisen, dass er den Antrag gestellt hat. Ein freier Arbeitsplatz ist nach der Legaldefinition des § 9 S. 2 TzBfG gegeben, wenn der Arbeitgeber die Organisationsentscheidung getroffen hat, diesen zu schaffen oder einen unbesetzten Arbeitsplatz neu zu besetzen. Ein entsprechender Arbeitsplatz liegt regelmäßig vor, wenn auf diesem die gleiche oder eine zumindest vergleichbare Tätigkeit auszuüben ist, wie sie die oder der Teilzeitbeschäftigte schuldet (BT-Drucks 19/3452, 17). Haben mehrere Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihren Wunsch mitgeteilt und muss sich der Arbeitgeber zwischen diesen entscheiden, so hat er seine Entscheidung nach billigem Ermessen (§ 315 BGB analog) zu treffen. Billiges Ermessen ist gewahrt, wenn der Arbeitgeber die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat (BT-Drucks 19/5097, 16).
Rz. 1559
Das Berücksichtigungsgebot bereitet in der Praxis einige Schwierigkeiten. Berücksichtigt ein Arbeitgeber einen Teilzeitbeschäftigten trotz dessen Wunsch nach Arbeitszeitverlängerung und dessen Eignung bei der Besetzung eines entsprechenden Arbeitsplatzes nicht, geht der Anspruch des Arbeitnehmers nach § 275 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit unter, sobald der Arbeitsplatz mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt ist. (BAG v. 16.9.2008 – 9 AZR 781/07). Das BAG entschied diesbezüglich, dass der nicht berücksichtigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz (§§ 275 Abs. 1 u. 4, 280 Abs. 1 u. 3, 281 Abs. 2, 283 S. 1 BGB) hat, sofern der Arbeitgeber den Untergang des freien Arbeitsplatzes zu vertreten hat. Der daraus resultierende Anspruch auf Wiederherstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn die zum Schadensersatz verpflichtenden Umstände nicht vorlägen (§ 249 BGB), führe jedoch nicht zu einer Verpflichtung des Arbeitgebers, mit dem entsprechenden Arbeitnehmer nachträglich eine Vollzeitvereinbarung zu treffen (BAG v. 18.7.2017 – 9 AZR 259/16). Ein solcher Anspruch widerspräche der Wertung des § 15 Abs. 6 AGG. Es bestehe lediglich ein Anspruch auf den finanziellen Ausgleich der Nachteile in Höhe der Vergütungsdifferenz für den gesamten Zeitraum, in dem sich der Verstoß finanziell auswirkt (BAG v. 16.9.2008 – 9 AZR 781/07).