Rz. 1697

Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Der Urlaub ist somit Jahresurlaub. Daher können Doppelansprüche auf Urlaub entstehen, wenn der Arbeitnehmer im Laufe des Jahres den Arbeitgeber wechselt. Diese werden durch § 6 Abs. 1 BUrlG ausgeschlossen, da der Urlaubsanspruch ggü. dem neuen Arbeitgeber nur besteht, soweit vom früheren Arbeitgeber Urlaub in dem Kalenderjahr noch nicht gewährt worden ist. Der Arbeitnehmer soll während des Urlaubsjahres nur einmal Anspruch auf seinen vollen Erholungsurlaub haben (BAG v. 10.5.1957, AP Nr. 19 zu § 611 BGB Urlaubsrecht).

 

Rz. 1698

§ 6 Abs. 1 BUrlG kommt nur zur Anwendung bei Urlaubsansprüchen aus mehreren Arbeitsverhältnissen, die sich ganz oder teilweise auf denselben Zeitraum beziehen. Arbeitnehmer, die in beiden Arbeitsverhältnissen lediglich Teilurlaubsansprüche gem. § 5 Abs. 1, 2 BUrlG realisiert haben, fallen demgemäß nicht unter die Regelung des § 6 Abs. 1 BUrlG. Die Aufrundung auf volle Urlaubstage beim Vorarbeitgeber führt nicht zu einer Anrechnung beim neuen Arbeitgeber (Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, BUrlG, § 6 Rn 3; a.A. LAG Düsseldorf v. 11.3.1968, BB 1968, 874). Wichtigster Fall des § 6 Abs. 1 BUrlG dürfte sein, dass der Arbeitnehmer von seinem Vorarbeitgeber den vollen Jahresurlaub erhalten hat, weil er erst in der zweiten Jahreshälfte ausgeschieden ist und beim neuen Arbeitgeber rein rechnerisch Teilurlaubsansprüche von 1/12 pro Monat der Beschäftigung entstehen.

 

Rz. 1699

 

Beispiel

Der Arbeitnehmer war vom 1.3.2021 bis zum 31.7.2022 bei Arbeitgeber A beschäftigt. Er hat für das Urlaubsjahr 2022 bereits den vollen Jahresurlaub von 24 Urlaubstagen erhalten. In der Zeit vom 1.9.2022 bis zum 31.12.2022 ist er bei Arbeitgeber B beschäftigt. Der Jahresurlaubsanspruch bei B beträgt ebenfalls 24 Werktage.

Für das Urlaubsjahr 2022 stehen ihm ggü. B keine Teilurlaubsansprüche mehr zu, da er seinen vollen Jahresurlaub bereits von A erhalten hat.

 

Rz. 1700

Anzurechnen ist nur der vom Vorarbeitgeber tatsächlich gewährte bzw. abgegoltene Urlaub. Der Gewährung bzw. Abgeltung steht die rechtskräftige Verurteilung des Vorarbeitgebers zur Gewährung oder Abgeltung von Urlaub gleich, da ansonsten ein Doppelbezug von Urlaubsansprüchen im Fall der Vollstreckung aus dem rechtskräftigen Titel nicht ausgeschlossen wäre. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass in diesem Fall der Arbeitnehmer das Risiko der Unmöglichkeit der Durchsetzung seiner titulierten Ansprüche trägt, also unter Umständen weniger als den gesetzlichen Mindesturlaub erhält.

 

Rz. 1701

Bei der Anrechnung bleibt ein Zusatzurlaub, der nur in einem Arbeitsverhältnis gewährt wird, außer Betracht. Bei unterschiedlicher Berechnung der Urlaubsansprüche nach Arbeitstagen, Werktagen o.ä. müssen die konkurrierenden Urlaubsansprüche zunächst auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden, um feststellen zu können, inwieweit eine Anrechnung zu erfolgen hat (BAG v. 27.1.1987, AP Nr. 30 zu § 13 BUrlG).

 

Rz. 1702

 

Beispiel

Der Arbeitnehmer war vom 1.9.2021 bis zum 31.7.2022 bei Arbeitgeber A in der Fünf-Tage-Woche beschäftigt; der Jahresurlaub betrug 20 Tage. Für 2022 hat er seinen vollen Jahresurlaub von A erhalten. Ab dem 1.9.2022 ist er bei Arbeitgeber B in der Sechs-Tage-Woche tätig. Der Jahresurlaub beträgt 30 Tage.

Die Urlaubsansprüche gegen B aus 2022 berechnen sich wie folgt:

Rechnerisch hat der Arbeitnehmer gegen B Anspruch auf Teilurlaub i.H.v. zehn Urlaubstagen für vier Monate (30 : 12 × 4). Anrechnen lassen muss er sich den von A bereits gewährten Urlaub, soweit sich die Anspruchszeiträume überschneiden (1.9.2022 – 31.12.2022), sodass letztlich noch ein Teilurlaubsanspruch von zwei Tagen gegen B besteht (10 – 8 = 2). Dazu ist der von A gewährte Urlaub zunächst auf eine Sechs-Tage-Woche umzurechnen (20 Tage: 5 × 6 = 24 Tage: 12 × 4 = 8 Tage).

 

Rz. 1703

§ 6 Abs. 1 BUrlG ist ein allgemeiner urlaubsrechtlicher Grundsatz und gilt für einen über den Mindesturlaub nach dem BUrlG hinausgehenden Mehrurlaub, sofern diese Vereinbarungen (z.B. Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag) nicht etwas anderes bestimmen (Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, BUrlG, § 6 Rn 6).

 

Rz. 1704

 

Beispiel

Der Arbeitnehmer war bis zum 31.10.2016 bei Arbeitgeber A beschäftigt. Der Jahresurlaubsanspruch betrug laut Tarifvertrag 30 Urlaubstage, die auch gewährt wurden. Ab dem 1.11.2016 ist er bei Arbeitgeber B beschäftigt, wo der Jahresurlaubsanspruch nur 24 Arbeitstage beträgt.

Anzurechnen ist ein bei A realisierter Urlaub von fünf Urlaubstagen (30 : 12 × 2), dem ein Teilurlaubsanspruch gegen B von vier Tagen (24 : 12 × 2) entgegensteht. Der Arbeitnehmer hat somit für das Urlaubsjahr 2014 keine Urlaubsansprüche mehr gegen B.

 

Rz. 1705

Beim Arbeitsplatzwechsel im laufenden Urlaubsjahr kann der Arbeitnehmer Urlaubsansprüche gegen mehrere Arbeitgeber erwerben. Sind die Urlaubsansprüche noch nicht erfüllt, ist fraglich, gegen wen der Arbeitnehmer Ansprüche geltend machen kann. Nach richtiger Ansicht hat der Arbeitnehme...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge