Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 1615
Das Unfallversicherungsrecht beschränkt durch §§ 104–110 SGB VII die Haftung der Unternehmer und bestimmter Betriebsangehöriger für Personenschäden, die Arbeitnehmer des Betriebes erleiden. Arbeitnehmer können zivilrechtliche Ersatzansprüche wegen eines Personenschadens grds. gegen den Unternehmer bzw. andere Mitarbeiter nur geltend machen, wenn diese den Versicherungsfall (Arbeitsunfall, Wegeunfall) vorsätzlich verursacht oder ihn auf einem versicherten Weg (Weg von und zur Arbeit, bestimmte Umwege usw.) herbeigeführt haben (s. hierzu BGH v. 19.9.2017 – VI ZR 497/16; OLG Celle v. 16.2.2017 – 5 U 89/16; BAG v. 28.4.2011, BB 2011, 1203).
Rz. 1616
Das Haftungsprivileg des Unternehmers bzw. anderer Betriebsangehöriger nach § 105 Abs. 1 SGB VII greift beispielsweise in einem Fall ein, in dem ein Arbeitnehmer die Arbeitsleistung seines Arbeitskollegen beanstandet und ihm dabei einen Schubser mit der Hand vor die Brust gibt. Eine betriebliche Tätigkeit liegt nämlich vor, wenn der Schädiger bei objektiver Betrachtungsweise aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handeln durfte, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch ist und keinen Exzess darstellt (s. hierzu BGH v. 30.5.2017 – VI ZR 501/16; LAG Schleswig-Holstein v. 31.5.2017 – 6 Sa 307/16; BAG v. 22.4.2004, NJW 2004, 122).
Rz. 1617
Von dem Ausschluss zivilrechtlicher Ansprüche wird z.B. auch der Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB erfasst. Haben Unternehmer oder Betriebsangehörige den Versicherungsfall allerdings vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, können die Sozialversicherungsträger gegen sie Regressansprüche geltend machen. Der Anspruch ist aber auf die Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches begrenzt.
Beispiel
Ein Arbeitnehmer haftet seinem Arbeitskollegen auf Schmerzensgeld, wenn der Personenschaden nicht durch eine betriebliche Tätigkeit eingetreten ist, sondern nur anlässlich einer solchen Tätigkeit. Ein Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII kommt namentlich bei einer "Neckerei" unter Arbeitskollegen nicht in Betracht. Eine solche Neckerei liegt vor, wenn der Schädiger mit einem Gabelstapler auf einen Arbeitskollegen zurollt, um ihm "in die Brust zu zwicken", auch wenn der Schädiger beabsichtigt, den Wagen anschließend in der Lagerhalle abzustellen (LAG Schleswig-Holstein v. 26.4.2016 – 1 Sa 247/15).
Rz. 1618
In den vorliegenden Fällen kommt es häufig zu einem Tätigwerden der Gerichte der Zivil- sowie der Sozialgerichtsbarkeit. Aus diesem Grund bestimmt § 108 SGB VII, dass ein Gericht, das über Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Art zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung der Sozialversicherungsträger oder der Sozialgerichte nach dem SGB VII oder nach dem Sozialgerichtsgesetz gebunden ist, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Das bedeutet, dass ein LG die Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, nicht selbst beantworten darf, wenn dies durch ein Sozialgericht bereits rechtskräftig entscheiden wurde. Das Zivilgericht hat, sofern eine solche vorhergehende Entscheidung des Sozialgerichts oder einer Berufsgenossenschaft noch nicht ergangen ist, sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung ergangen ist. Es kann allerdings, falls ein solches (sozialverwaltungsrechtliches) Verfahren noch nicht eingeleitet ist, dafür eine Frist bestimmen, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist (§ 108 Abs. 2 SGB VII).
Der BGH hat in einer Entscheidung vom 18.11.2014 (VI ZR 141/13) die Auffassung vertreten, die Bindungswirkung des § 108 SGB VII erstrecke sich auch auf die Entscheidung darüber, welchem Unternehmen der Unfall zuzurechnen ist, und dies damit begründet, dass durch die – im Zuge der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch VII neu geschaffenen – Konkurrenzregelungen des § 135 SGB VII nicht nur die Zuständigkeit mehrerer Unfallversicherungsträger und ein mehrfacher Versicherungsschutz, sondern auch die Zuordnung eines Arbeitsunfalls zu mehreren Unternehmen verhindert werden solle.
Am 30.5.2017 – VI ZR 501/16 – hat der BGH darauf hingewiesen, dass § 108 SGB VII den Stellen, die für die Beurteilung sozialrechtlicher Fragen originär zuständig sind, hinsichtlich der Beurteilung bestimmter unfallversicherungsrechtlicher Vorfragen den Vorrang vor den Zivilgerichten einräume. Diesen Vorrang hätten die Zivilgerichte von Amts wegen zu berücksichtigen; er setze der eigenen Sachprüfung – auch des Revisionsgerichts – Grenzen.
Rz. 1619
Ein Sozialversicherungsträger kann wegen der von ihm erbrachten Aufwendungen beim Rückgriff nach § 110 SGB VII grds. auch auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten gegen den nach den §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegierten Schädiger zurückgreifen, (BGH v. 26.6.2006, NJW 2006, 1429).
Rz. 1620
Das BSG hat am 26.6.2007 (NZA 2008, 344) zu § 106 SGB VII da...