Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 25
Problematisch ist, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nach dem von ihm beanstandeten Verhalten eine Abmahnung auszusprechen oder ob er zur Vorbereitung einer Kündigung auch längere Zeit warten kann, bis er eine schriftliche Abmahnung ausspricht und zu den Personalakten nimmt (vgl. Becker-Schaffner, BB 1995, 2526, 2529; Hunold, BB 1986, 2054). Das BAG hat entschieden, dass für die Ausübung des Abmahnungsrechtes keine Regelausschlussfrist existiert (BAG v. 15.1.1986 – 5 AZR 74/91, NZA 1986, 421 = DB 1986, 1075). Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, die den Gebrauch des Rügerechtes durch den Arbeitgeber zeitlich einschränkt. Wenn dem Arbeitgeber die Entscheidung überlassen bleibt, ob er ein bestimmtes Fehlverhalten des Arbeitnehmers zum Anlass für eine Abmahnung nimmt oder auf den Ausspruch einer Abmahnung verzichtet, kann von ihm ggf. zum Nachteil des betroffenen Arbeitnehmers nicht erwartet werden, stets innerhalb einer bestimmten Frist abzumahnen (BAG v. 12.1.1988 – 1 AZR 219/86, NZA 1988, 474 = DB 1988, 1270).
Rz. 26
Andererseits muss aber berücksichtigt werden, dass die unterbliebene Abmahnung bei dem betroffenen Arbeitnehmer den Eindruck erweckt, der Arbeitgeber habe ihm sein Fehlverhalten nachgesehen. Ist daher seit dem an sich beanstandungswürdigen Fehlverhalten eine erhebliche Zeitspanne verstrichen und handelt es sich nicht um einen gleichartigen Wiederholungsfall, kann aus dem Zweck der Abmahnung ein Verbrauch des Rügerechtes abgeleitet werden. Demzufolge hat auch die Rspr. entschieden, dass das Rügerecht des Arbeitgebers verwirkt sein kann. Das BAG (v. 13.12.1989 – 5 AZR 10/89, n.v.) hat ein Zuwarten von acht Wochen als unschädlich angesehen. Dagegen hat das LAG Nürnberg (14.6.2005 – 6 Sa 367/05, LAGE § 611 BGB 2002, Abmahnung Nr. 3) entschieden, dass der Arbeitgeber durch ein Zuwarten von fast sechs Monaten gezeigt hat, dass er den behaupteten Vertragsverstoß des Arbeitnehmers nicht mehr als sanktionswürdig ansieht. Ebenso hat das LAG Köln in einer Entscheidung aus dem Jahr 1988 das Rügerecht des Arbeitsgebers nach einjährigem Zuwarten als verwirkt angesehen (LAG Köln v. 28.3.1988 – 5 Sa 90/88, DB 1988, 1170). Letztlich wird es nicht möglich sein, einen exakten Zeitraum zu bestimmen, nach dessen Ablauf eine Verwirkung eintritt. Die Dauer des Zeitmomentes wird sich nach der Schwere des Verstoßes im Einzelfall richten.
Rz. 27
Das Recht des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer eine Abmahnung zu erteilen und diese zur Personalakte zu nehmen, ist auch kein Anspruch, der den tariflichen Ausschlussfristen unterliegt (BAG v. 14.12.1994 – 5 AZR 137/94, NZA 1995, 676 = BB 1995, 622). Ebenso unterliegt der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte keiner tariflichen Ausschlussfrist, da Ausschlussfristen lediglich vertragliche Ansprüche und nicht absolute Rechte (fortdauernde Verletzung des Persönlichkeitsrechtes) umfassen (BAG v. 14.12.1994 – 5 AZR 137/94, NZA 1995, 676 = BB 1995, 622).
Rz. 28
Die vorstehend erörterten Fristen sind zu unterscheiden von der Frage, ob und wann eine Abmahnung wirkungslos wird (s. dazu unter Rdn 51 ff.).