Dr. Hans-Patrick Schroeder, Dr. Marcus P. Lerch
Rz. 168
An die weiteren Schriftsätze im Schiedsverfahren schließt sich in aller Regel eine mündliche Verhandlung an, sofern die Parteien im Einzelfall nicht auf deren Durchführung verzichten (sog. documents-only arbitration). Neben umfassenden Plädoyers der Prozessbevollmächtigten, die üblicherweise alle Kernpunkte der bisherigen Argumentation auf Sachverhalts- und Rechtsebene wiedergeben, und der Möglichkeit eines Rechtsgespräches zwischen den Schiedsrichtern und den anderen Verfahrensbeteiligten, liegt der Schwerpunkt der mündlichen Verhandlung regelmäßig in der Beweisaufnahme.
1. Besonderheiten der Beweiserhebung im Schiedsverfahren
Rz. 169
Grds. steht die Ausgestaltung der Beweiserhebung auf der Grundlage von § 1042 Abs. 4 ZPO im Ermessen des Schiedsgerichts, sofern die Parteien keine Vereinbarungen für das Beweisverfahren getroffen haben.
Nach dem sog. beschränkten Untersuchungsgrundsatz (s. Rdn 92) trifft das Schiedsgericht zudem die Pflicht, den dem Streit zugrunde liegenden Sachverhalt zu ermitteln. Bei der Ermittlung des Sachverhaltes ist das Schiedsgericht grds. nicht an die Beweisanträge der Parteien oder an die gesetzlichen Beweismittel der ZPO gebunden. Dieser in Deutschland aus § 1042 Abs. 4 ZPO folgende Grundsatz findet sich in Art. 25 ICC-SchO bzw. in Art. 28 DIS-SchO in deutlicherer Formulierung wieder.
Rz. 170
Das Beweisverfahren vor Schiedsgerichten ist insgesamt deutlich flexibler als vor ordentlichen Gerichten. Darüber hinaus ist das Schiedsgericht auch in der Beweiswürdigung deutlich weniger festgelegt als staatliche Gerichte. Eine Grenze findet das Ermessen des Schiedsgerichts allein in der Beachtung wesentlicher Verfahrensgrundsätze, wie etwa dem Anspruch auf rechtliches Gehör.
Die Flexibilität der Ausgestaltung des Beweisverfahrens ist einerseits ein erheblicher Verfahrensvorteil im Vergleich zu einem staatlichen Gerichtsverfahren. Andererseits führt sie zu einer gewissen Unsicherheit über die einzelnen Abläufe des Verfahrens.
Hinweis
Chance und Risiko für die Parteien sind in dem Umstand zu sehen, dass eine Präklusion von Beweisanträgen durch das Schiedsgericht nur in sehr engen Grenzen angenommen werden dürfte (vgl. Rdn 161 ff.).
Rz. 171
Die Ausgestaltung der Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren ist in erheblichem Maße von den verschiedenen Verfahrenskonzepten des Common Law einerseits und des Civil Law andererseits geprägt. Die Präferenzen und die Nationalität von Parteien und Schiedsrichtern kann zu Verfahren im Common Law-Stil mit umfangreicher document production führen. Es ist aber genauso denkbar, dass ein Verfahren mit Schiedsrichtern des romanisch-deutschen Rechtskreises, ohne Beteiligung von Parteien mit Common Law-Hintergrund, bei der praktischen Durchführung einem Zivilprozess in Deutschland stark ähnelt. Möglicherweise werden auch Vorschriften der ZPO zumindest sinngemäß angewendet.
Rz. 172
Die denkbare Bandbreite der Ausgestaltung des Beweisverfahrens ist also erheblich und variiert je nach Zusammensetzung der Beteiligten und Präferenz der Schiedsrichter. In diesem Zusammenhang können die Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration der International Bar Association eine Rolle spielen. Mit diesem Regelwerk wird Parteien eine Möglichkeit an die Hand gegeben, das Beweisverfahren in einem Kompromiss zwischen den Regeln der verschiedenen großen Rechtssysteme festzulegen. Natürlich steht es den Parteien frei, eigene Vorschriften für die Beweiserhebung zu formulieren. In einem Verfahren auf Grundlage der ICC-SchO empfiehlt es sich, derartige Regeln in den Terms of Reference zu vereinbaren.
2. Urkundsbeweis und Vorlage von Dokumenten
Rz. 173
Der Urkundsbeweis ist häufig das wichtigste Beweismittel in einem Schiedsverfahren.
Dabei ist zu beachten, dass das Schiedsgericht bei einem Verfahren auf Grundlage des deutschen Schiedsverfahrensrechts grds. die Vorlage von Dokumenten auch dann verlangen kann, wenn sie von den Parteien nicht im Rahmen eines Beweisangebotes in das Verfahren eingebracht worden sind. Dies folgt aus dem Verfahrensermessen des Schiedsgerichts, sofern die Parteien keine anderweitige Vereinbarung getroffen haben. Entsprechende ausdrückliche Befugnisse sind in Art. 28.2 DIS-SchO geregelt. Da dem Schiedsgericht keine Zwangsmittel zur Durchsetzung einer Anordnung zur Verfügung stehen, spricht § 1048 Abs. 3 ZPO aus, dass die Schiedsrichter die entgegen einer Anordnung ausbleibende Vorlage in der Beweiswürdigung berücksichtigen können. I.Ü. kann das Schiedsgericht ein ordentliches Gericht im Wege des Verfahrens nach § 1050 ZPO um Unterstützung bitten und auf diesem Wege die zwangsweise Durchsetzung einer Anordnung erreichen (vgl. Rdn 217 ff.).
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