Rz. 10

Von der Verjährung zu unterscheiden ist die richterrechtlich als Ausprägung von § 242 BGB anerkannte Verwirkung, die einer Anspruchsdurchsetzung entgegensteht, wenn besondere Umstände ausnahmsweise die verspätete Geltendmachung des Anspruchs als einen Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.[18] Verwirkung setzt danach voraus, dass der Berechtigte sein Recht längere Zeit nicht geltend macht (Zeitmoment), obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich auch darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment); bloße Untätigkeit reicht für letzteres nicht.[19] Die Verwirkung wird folgerichtig auch bezeichnet als Rechtsmissbrauch durch illoyal verspätete Rechtsausübung.[20]

 

Rz. 11

Grundsätzlich kann die Verwirkung eines Anspruchs schon vor der Verjährung eintreten;[21] darin lag – insbesondere unter Geltung des alten Verjährungsrechts mit längerer regelmäßiger Verjährungsfrist und einem Verjährungsbeginn ungeachtet etwaiger Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen seitens des Gläubigers – gerade ihre besondere Bedeutung in der Praxis.[22] Je kürzer jedoch die Verjährungsfrist ist, desto weniger ist Raum für eine Verwirkung.[23] Dies gilt namentlich für die kurze Verjährungsfrist von drei Jahren.[24] Denn grundsätzlich steht es jedem Gläubiger frei Verjährungsfristen ungeschmälert auszunutzen.

 

Rz. 12

Beweisschwierigkeiten, denen der Schuldner ausgesetzt ist, wenn der Gläubiger erst nach längerer Zeit Ansprüche geltend macht, vermögen den Einwand der Verwirkung grundsätzlich allein nicht zu rechtfertigen. Anderes kann allerdings gelten, wenn der Schuldner im berechtigten Vertrauen darauf, der Gläubiger werde nach Ablauf eines längeren Zeitraumes mit Ansprüchen nicht mehr hervortreten, Beweismittel vernichtet hat.[25]

Die Verwirkung als Ausprägung von § 242 BGB stellt – anders als die Verjährung – eine rechtsvernichtende, auch gegenüber dem Rechtsnachfolger wirkende[26] Einwendung dar und ist im Prozess von Amts wegen zu beachten.[27] Die Beweislast für die Voraussetzungen liegt beim Schuldner. Der Gläubiger hat indessen darzutun, wann und wie er den Anspruch geltend gemacht hat.[28] Verwirkung kann unter besonderen Umständen ausnahmsweise auch gegenüber einem rechtskräftig festgestellten Anspruch eingewandt werden.[29]

[18] Vgl. BGH, Urt. v. 2.10.1956 – VI ZR 179/55, NJW 1956, 1915.
[20] BGHZ 25, 52; BGHZ 92, 184.
[22] BGH, Urt. v. 11.2.1992 – VI ZR 133/91, VersR 1992, 627; BGH, Urt. v. 26.5.1992 – VI ZR 230/91, VersR 1992, 1108.
[23] BGHZ 84, 280.
[24] BGH, Urt. v. 11.2.1992 – VI ZR 133/91, NZV 1992, 274 – noch zu § 852 Abs. 1 BGB a.F.
[25] BGH, Urt. v. 26.5.1992 – VI ZR 230/91, NZV 1992, 356.
[28] BGH, Urt. v. 19.5.1958 – II ZR 53/57.
[29] BGHZ 5, 189.

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