Rz. 72
Der Ablauf der Verjährungsfrist kann dadurch hinausgeschoben oder "gehemmt" werden, dass die Verjährungshemmungszeit in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird (§ 209 BGB), mit anderen Worten: Die Verjährungsfrist verlängert sich entsprechend, wobei der Tag, in dessen Verlauf der Hemmungsgrund entsteht und der Tag, in dessen Verlauf der Hemmungsgrund wegfällt, jeweils nicht in die Verjährung miteinberechnet werden. Dabei kann ein Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist (§ 209 BGB), nur ein solcher nach Verjährungsbeginn verstrichene sein. Als – gegebenenfalls von dem sich hierauf Berufenden zu beweisende – Gründe hierfür erkennt das BGB vor allem das Schweben von Verhandlungen zwischen den Parteien (§ 203 BGB) und die – qualifizierte – (einseitige) Geltendmachung des Anspruchs (§ 204 BGB) an. Im Unfallhaftpflichtrecht ist darüber hinaus insbesondere auch der Hemmungstatbestand des § 115 Abs. 2 S. 3 VVG zu beachten.
Rz. 73
Grundsätzlich wirkt die Hemmung nur unter den Personen, zwischen denen der Hemmungsgrund besteht (§§ 425 Abs. 2, 429 Abs. 2 BGB). Eine für das Unfallhaftpflichtrecht wichtige Ausnahme hiervon macht § 115 Abs. 2 S. 4 VVG.
Wie ein "Neubeginn" kommt eine Verjährungs-"Hemmung" auch erst ab dem Lauf der Verjährungsfrist in Betracht – und nurmehr bis zu deren Ende.
I. Aufgrund von Verhandlungen, § 203 S. 1 BGB
1. Verhandlungen
Rz. 74
Gemäß § 203 S. 1 BGB ist die Verjährung, solange zwischen Schuldner und Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Dabei ist der Begriff des "Verhandelns" weit auszulegen. Der Gläubiger muss lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend macht und worauf er ihn stützen will. Sodann genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort ablehnt; der Bekundung von Vergleichsbereitschaft bedarf es dabei nicht. In der Erklärung des Schuldners, er wolle dem Anspruchsinhaber seinen Standpunkt, der Anspruch sei verjährt, in einer Besprechung erläutern, kann demgemäß durchaus der Beginn von Verhandlungen liegen. Unzureichend sind dagegen in diesem Kontext die bloße Bestätigung des Eingangs einer Schadensanzeige oder die Mitteilung einer Weiterleitung der Sache an den eigenen Haftpflichtversicherer bei gleichzeitiger Ablehnung irgendwelcher eigener Erklärungen zu Grund und Höhe seiner Haftung. Erst recht fehlt jedes Verhandlungselement, wenn es bei bloßen Aufforderungen des Berechtigten geblieben ist. Verhandlungen in diesem Sinn können auch noch weiter laufen, wenn bei dem Verpflichteten eine zunächst konkret vorhandene Vergleichsbereitschaft wieder etwas zurücktritt, weil er sich von weiteren Ermittlungen oder dem Hinausschieben eines Vergleichsabschlusses Vorteile für sich verspricht, solange er gesprächsbereit bleibt. Es genügt z.B. auch, wenn der Versicherer mitteilt, nach Abschluss des Strafverfahrens werde er unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückkommen. Macht der Anspruchssteller verschiedene Ansprüche geltend – z.B. zunächst einen eigenen Schadensersatzanspruch und dann einen Anspruch aus abgetretenem Recht –, so erstreckt sich eine Verjährungshemmung hinsichtlich des einen Anspruchs nicht ohne Weiteres auf einen zweiten Anspruch.
2. Ende der Verhandlungen, "Einschlafenlassen"
Rz. 75
Die Hemmung der Verjährung infolge Verhandlungen endet, wenn eine der Parteien die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Das ist im Einzelfall tatrichterlich zu beurteilen, erfordert aber – abgesehen vom Fall des "Einschlafenlassens" der Verhandlungen – wegen seiner Bedeutung für die Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Ansprüche, dass dies durch klares und eindeutiges Verhalten zum Ausdruck gebracht wird; und zwar im Sinne eines "doppelten Nein" bzgl. des Anspruchs wie auch bzgl. weiterer Verhandlungen. Eine Beendigung der Hemmung kommt anerkanntermaßen aber auch in Betracht, wenn der Ersatzberechtigte die Verhandlungen "einschlafen" lässt. Ein Abbruch der Verhandlungen durch ein solches "Einschlafenlassen" ist dann anzunehmen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen ...