Rz. 90
In Rspr. und Lit. ist umstritten, ob bzw. in welchem Umfang das Wahlrecht in Art. 11 Abs. 1 EGBGB auf die Beurkundung gesellschaftsrechtlicher Vorgänge anwendbar ist.
Rz. 91
Im Schrifttum bestehen im Wesentlichen drei Auffassungen:
Nach der ersten Ansicht gilt Art. 11 Abs. 1 EGBGB uneingeschränkt auch im Gesellschaftsrecht, da Art. 11 Abs. 4 EGBGB seinem Wortlaut nach nur für sachenrechtliche Geschäfte, nicht aber für gesellschaftsrechtliche Rechtsgeschäfte eine Ausnahme vorsieht. Demnach wäre die Einhaltung der Ortsform ausreichend, solange keine "Formenleere" vorliegt. Dies ist für die auch im schweizerischen Recht bekannte Übertragung von GmbH-Anteilen nicht der Fall.
Nach einer anderen Auffassung soll das Ortsrecht im Bereich des Gesellschaftsrechts nicht anwendbar sein. Diese Ansicht stützt sich zur Begründung entweder auf eine Analogie zu Art. 11 Abs. 4 EGBGB (der frühere Art. 11 Abs. 5 EGBGB) und/oder allgemein auf Aspekte der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes. Nach dieser Ansicht würde etwa für eine GmbH-Anteilsübertragung die Beachtung der im Schweizer Recht vorgesehenen Form nicht ausreichen, vielmehr wäre allein die gem. § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG erforderliche notarielle Beurkundung maßgeblich.
Eine dritte Ansicht differenziert zwischen statusrelevanten Geschäften, d.h. solchen, die die Verfassung der Gesellschaft betreffen, und nicht statusrelevanten. Die Geltung des Ortsstatuts soll nur bei nicht statusrelevanten Geschäften möglich sein. Für diese Auffassung sprechen neben den Argumenten, die generell gegen eine Ortsformanknüpfung hervorgebracht werden, auch die Gesetzgebungsmaterialien, aus denen sich ergibt, dass der Gesetzgeber in Art. 11 EGBGB gerade "nicht die Form von Vorgängen (regeln wollte), die sich auf die Verfassung von Gesellschaften und juristischen Personen beziehen." Folgt man dieser Meinung, so stellt sich zunächst die Frage, ob es sich bei der geplanten Maßnahme um einen statusrelevanten Vorgang handelt. Dies ist bei einer Geschäftsanteilsübertragung nach überwiegender Ansicht nicht der Fall. Statusrelevante Vorgänge sind demgegenüber etwa die Gründung der Gesellschaft, Satzungsänderungen, Verschmelzungen, Spaltungen und sonstige Umwandlungen.
Rz. 92
In der Rspr. wird die Anwendbarkeit der Ortsform auf gesellschaftsrechtliche Vorgänge nicht einheitlich behandelt. Höchstrichterliche Rspr. zu dieser Frage existiert lediglich in Form eines Urteils des Reichsgerichts vom 22.3.1939, das von der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 1 EGBGB auf die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen ausging. Dagegen hat sich der BGH – soweit ersichtlich – bislang noch nicht ausdrücklich zu dieser Frage geäußert. In einem Beschl. v. 16.2.1981 hat er lediglich beiläufig festgestellt, es spreche viel für die Richtigkeit der Ansicht, dass Art. 11 Abs. 1 EGBGB generell, also auch für gesellschaftsrechtliche Vorgänge gelte. Auch mit Urt. v. 1.11.2004 hat der BGH seine Tendenz insoweit bestätigt, wobei die vorgenannte reichsgerichtliche Rspr. in Bezug genommen wurde.
Rz. 93
Die Instanzgerichte lassen teilweise – zumindest bei Anteilsübertragungen – die Ortsform ausreichen; andere halten die Ortsform in diesen Fällen nicht für ausreichend. Eine herrschende Meinung hat sich bisher nicht gebildet. Allerdings hat noch kein Gericht konkret in Bezug auf den Verkauf und die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen die Anwendbarkeit der Ortsform verneint. Die eine Auslandsbeurkundung ablehnenden Entscheidungen betrafen bisher nur sog. "statusrelevante" Maßnahmen.
Hinweis
Die Frage, ob die Wahrung der ausländischen Ortsform für gesellschaftsrechtsrechtliche Vorgänge genügt, die nach deutschem Recht beurkundungspflichtig sind, ist im Schrifttum umstritten und gerichtlich nicht abschließend geklärt. In der Praxis sollte man daher nicht auf die Wirksamkeit solcher Rechtsgeschäfte vertrauen, wenn für diese nur die ausländische Ortsform gewahrt ist und keine notarielle Beurkundung erfolgte.