Dr. Wolfgang Kürschner, Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 6
Im Rahmen der Erfüllung ist erforderlich, dass die Leistung des Schuldners einem bestimmten Schuldverhältnis zugeordnet werden kann. Erfüllungswirkung tritt damit regelmäßig als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein. Zur Zuordnung der Leistung zu einem bestimmten Schuldverhältnis kann es ausreichen, dass die bewirkte Leistung die allein geschuldete ist und daneben keine andere, gleichartige Schuld besteht, auf welche die Leistung daneben oder stattdessen erbracht worden sein könnte, und der Schuldner nicht selbst eine abweichende Bestimmung trifft. Was für das Bestehen einer Verbindlichkeit gilt, gilt sinngemäß auch dann, wenn mehrere Verbindlichkeiten vorhanden sind und durch die Leistung des Schuldners vollständig abgedeckt werden. Auch in diesem Fall bedarf es keiner besonderen Tilgungsbestimmung, da die tatsächliche Erbringung der geschuldeten Leistung für sämtliche offenen Verbindlichkeiten ohne Weiteres zu deren Erlöschen führt. Nach § 366 BGB ist es Sache des Schuldners zu bestimmen, welche von mehreren Schulden getilgt werden soll. Die von ihm bezeichnete Schuld erlischt auch dann, wenn der Gläubiger sie anders anrechnen will. Der Gläubiger hat mithin kein Bestimmungsrecht. Widerspricht der Gläubiger der Bestimmung des Schuldners und lehnt er die Annahme der Leistung ab, so gerät er in Annahmeverzug, § 293 BGB. Das dem Schuldner (oder dem für ihn leistenden Dritten) zustehende Leistungsbestimmungsrecht gem. § 366 Abs. 1 BGB ist regelmäßig bei der Leistung auszuüben.
Rz. 7
§ 366 Abs. 2 BGB enthält eine gesetzliche Tilgungsreihenfolge für den Fall, dass der Schuldner keine Bestimmung trifft oder die Parteien keine Tilgungsvereinbarung getroffen haben: Getilgt wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig. Abs. 2 ist nicht anzuwenden, wenn seine Regelung mit den Interessen der Beteiligten offensichtlich unvereinbar ist. Bei Versicherungsverträgen ist in der Regel die dem Versicherungsnehmer günstigste Anrechnung vorzunehmen, das heißt diejenige, die zur Begründung oder Aufrechterhaltung von Versicherungsschutz führt. Erforderlich ist eine Tilgungsbestimmung bei Drittleistungen, § 267 BGB. Möglich ist auch eine sog. doppelte Tilgungsbestimmung, z.B. gleichzeitige Zahlung auf persönliche und dingliche Schuld.
Rz. 8
Wird – wie in der Praxis der Haftpflichtregulierung – "unter Vorbehalt" geleistet, so ist zu differenzieren: Im Allgemeinen will ein Schuldner lediglich dem Verständnis seiner Leistung als Anerkenntnis (§ 208 BGB; vgl. dazu § 24) entgegentreten und die Wirkung des § 814 BGB ausschließen, sich also die Möglichkeit offen halten, das Geleistete gem. § 812 BGB zurückzufordern. Ein Vorbehalt dieser Art stellt die Ordnungsmäßigkeit der Erfüllung nicht in Frage. Wenn hingegen der Schuldner in der Weise unter Vorbehalt leistet, dass dem Leistungsempfänger für einen späteren Rückforderungsstreit die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs auferlegt werden soll, so lässt ein Vorbehalt dieser Art die Schuldtilgung in der Schwebe und ist keine Erfüllung im Sinne des § 362 BGB. Er liegt insbesondere dann vor, wenn ein Schuldner während eines Rechtsstreits zahlt und seine Rechtsverteidigung fortsetzt, weil damit zum Ausdruck kommt, dass die Zahlung auf den Ausgang des Rechtsstreits keinen Einfluss haben soll.
Zum Rückzahlungsvorbehalt einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung bei Unfallabrechnung hat das Saarländische Oberlandesgericht auf Unzulässigkeit einer negativen Feststellungsklage des Geschädigten entschieden.
Rz. 9
Ein Vorbehalt kann auch von einem Dritten, beispielsweise einem Krankenversicherer, mit dem Inhalt erklärt werden, dass zwar die Schuld eines anderen getilgt werden soll, der Gläubiger aber nicht allein wegen seines Anspruches gegen den anderen das Geld behalten dürfen soll, sondern nur dann, wenn der zwischen der Krankenversicherung und dem anderen geschlossene Versicherungsvertrag, aufgrund dessen die Versicherungssumme ausbezahlt wurde, diese Leistung auch nach einer Überprüfung als gerechtfertigt erscheinen lasse. Eine unter "Verrechnungsvorbehalt" erbrachte Leistung bewirkt keine Erfüllung, weil nicht feststeht, was getilgt sein könnte, wenn eine Verrechnung auf unterschiedliche Forderungen oder Forderungsteile noch möglich ist. Um die Erfüllungswirkung herbeizuführen, sollte daher in der Praxis alsbald auf eine Leistungsbestimmung des Schuldners hingewirkt werden. Probleme treten auf, wenn der Schuldner bis zum Ende eines Prozesses von seinem Tilgungsbestimmungsrecht keinen Gebrauch macht.
Rz. 10
Teilweise wird angenommen, ein Verrechnungsvorbehalt sei innerhalb angemessener Frist auszuüben, ansonsten gelte die gesetzliche Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB. Teilweise wird vorgeschlagen, in doppe...