Rz. 48
Wesentliches Merkmal der Familienstrategie ist, dass sie die Fragen der Unternehmensnachfolge auf der Basis der tatsächlichen Gegebenheiten beantwortet. Der Prozess bringt die Familienmitglieder miteinander ins Gespräch. Gemeinsam klären sie ihr Fundament und ihre Perspektive für Unternehmen und Familie. Das beleuchtet sowohl ihren Umgang mit charakteristischen Widersprüchen und Paradoxien (siehe Rdn 16 ff.) als auch die Beziehung zwischen Familie, Unternehmen und dem Einzelnen (siehe Rdn 22 ff.). Dabei wird sorgfältig unterschieden, was für die Familie, was für das Unternehmen und was für den Einzelnen gilt.
Dieser Klärungsprozess gibt Aufschluss darüber, wie kooperationsbereit und -fähig die Familie tatsächlich ist. Eine nüchterne, unter Umständen auch ernüchternde (Selbst-)Einschätzung ist der Schlüssel zu einer tragfähigen Nachfolgelösung. Das schließt auch Gestaltungsmöglichkeiten ein: Wie veränderungsbereit und -fähig ist die Familie in Anbetracht ihrer selbst gesteckten Ziele?
Rz. 49
Im Rahmen der Familienstrategie werden erst auf dieser Grundlage die Verantwortlichkeiten während des Generationswechsels und für die nächste Generation festgelegt. Begleitend werden Regeln vereinbart und Plattformen geschaffen, die die Familie und die Verantwortlichen in ihrer jeweiligen Funktion unterstützen und so zu langfristiger Stabilität beitragen.
Abb. 5: Bausteine im Prozess der Familienstrategie
1. Fundament
Rz. 50
Geschichten und Legenden speichern den gemeinsamen Erfahrungsschatz einer Familie. Sie verbinden. Sie machen Informationen verfügbar über Erfolge, Zugeständnisse und Rückschläge sowie über Haltungen und Werte anderer Familienmitglieder. In den Geschichten zeigen sich Besten-Idealisierung und Helden-Legenden oder auch Geschichten vom Umgang mit Zweifeln und Scheitern. Die Geschichten an der Zeit und Situation zu spiegeln, erlaubt ggf. auch auf Distanz zu gehen. Besonders Helden-Legenden können es späteren Generationen schwer machen, Teamgeist zu entwickeln. Ab der zweiten Generation gehören regelmäßig mehr oder weniger ermutigende Geschichten über die Stabübergabe zum Repertoire. Sie liefern gemeinsame Orientierungspunkte.
Gemeinsame Traditionen und Rituale wirken verbindend. Sie bilden einen weiteren Teil des gemeinsamen Fundaments einer Unternehmerfamilie. Althergebracht oder den Zeiten angepasst – wesentlich ist ihre verbindende Wirkung. Junge Unternehmerfamilien entwickeln ggf. erst einen Sinn für die Bedeutung von Traditionen und Ritualen im Rahmen der Familienstrategie.
Rz. 51
Gemeinsame Werte spielen in der Nachfolge eine besonders wichtige Rolle. Zu den klassischen Sorgen der Übergeber gehört, dass ihr Lebenswerk bzw. das der Vorfahren nicht "in ihrem Sinne" fortgeführt wird. Hierzu gehören grundlegende Maßstäbe, wie Qualitätsbewusstsein, Verlässlichkeit, vorausschauendes Denken etc.
Im Rahmen der Familienstrategie haben die Generationen Gelegenheit, sich über die Bedeutung und Auswirkungen der Werte, die das Unternehmen prägen, auszutauschen und festzulegen, welche Bedeutung diese auch künftig im Unternehmen haben werden. Dieser Austausch fördert im Unternehmen Kontinuität und zwischen den Generationen Vertrauen.
Rz. 52
Die Werte der Familie sind zu den Maßstäben im Unternehmen nicht nur verschieden, sondern mitunter auf charakteristische Weise widersprüchlich. Das gilt es bewusst zu machen und anzuerkennen. Die Unterscheidung von Werten der Familie und des Unternehmens spielt für die Streitvermeidung eine besondere Rolle (vgl. Rdn 16).
Rz. 53
Die beschriebene Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit ist das eine. Ein weiterer ebenso charakteristischer und bedeutsamer Aspekt ist, dass sich Familienunternehmen und Unternehmerfamilie gegenseitig prägen. Die Unternehmensnachfolge ist ein guter Anlass zu hinterfragen, ob womöglich ein stark familiär geprägtes Unternehmen einer Emanzipation bedarf, weil Größe und Wettbewerbssituation sich geändert haben. Und umgekehrt, ob die Größe der Familie eine stärker unternehmerische Prägung benötigt, um ihre Handlungsfähigkeit zu sichern (nicht zuletzt mehr Rationalität). Steht also mit dem Generationswechsel eine Wandlung vom familiär geprägten Familienunternehmen zur unternehmerisch geprägten Unternehmerfamilie an?
Rz. 54
Aus der gegenseitigen Prägung ziehen Unternehmen und Familie idealerweise Vorteile. Unterschiede und Widersprüche führen nicht zu Streit oder Stillstand. Sie sind Triebfeder für kreative (und immer wieder überlegene) Lösungen. In der Kombination von familiären Werten wie Abhängigkeit, Loyalität, Sicherheit, Stabilität einerseits und unternehmerischen wie Risiko, Autonomie, Innovation, Wandel andererseits wird ein genereller Überlebensvorteil von Familienunternehmen gesehen. Wertsteigerung und Langlebigkeit von Familienunternehmen werden darauf zurückgeführt, dass sie von einem geübten, konstruktiven Umgang...