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Die Einheit einer Unternehmerfamilie bestimmt ihre Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Sie steht in einem natürlichen Spannungsverhältnis zur Vielfalt der Familienmitglieder.
Für den Generationswechsel typisch ist es, dass die Zahl der Familienmitglieder steigt. Mit dem Wachstum der Familie nimmt die Vielfalt in der Familie zu. Entfremdung bedroht ihren Zusammenhalt und ihre Handlungsfähigkeit. Die Wahl der Ehepartner ist sprichwörtlich für erhöhte Vielfalt in Familien und die daraus resultierende Entfremdung. Gleiches gilt für Erziehungsstile oder unterschiedliche Wohnorte und die damit verbundene kulturelle Prägung in aller Welt. Das gilt zunächst für alle Familien, nicht nur für Unternehmerfamilien. Für diese aber ist das keine reine Privatangelegenheit, sondern hat potenziell Auswirkungen auf das Unternehmen.
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Zu einer Einheit in Vielfalt zu finden, kennzeichnet die starke Unternehmerfamilie. Das setzt voraus, dass sich der Einzelne den Anforderungen der Unternehmerfamilie stellt, die Organisation mitträgt, die Regeln beachtet und verständigungsbereit kommuniziert.
Um ihren Einfluss zu wahren, beschränken Unternehmerfamilien die Anzahl der Familienmitglieder, die Bezug zum Unternehmen haben. Einschränkungen finden sich im Hinblick auf die Mitarbeit, auf den Zugang zu Führungspositionen oder bezüglich der Übertragbarkeit von Anteilen, z.B. nur männliche Nachkommen, nur Erstgeborene, keine Ehepartner, keine Stiefkinder.
Die Familie kann der gewachsenen Komplexität zudem durch ein Mehr an Organisation begegnen. Sie kann Strukturen schaffen sowohl in der Familie als auch an der Schnittstelle zum Unternehmen (Family und Business Governance).
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Die Frage von Einheit und Vielfalt wirkt sich auf den Dreiklang von Familie, Eigentum und Führung aus. Die Herausforderung für eine wachsende Unternehmerfamilie lautet, Vielfalt der Familie, Beteiligungsverhältnisse und Führung in einen zum Unternehmen passenden stimmigen Akkord zu bringen. Ist die Bereitschaft der Familienmitglieder niedrig, sich zu organisieren und individuelle Interessen denen der Familien unterzuordnen, lebt sie in einem eher losen Familienverbund, der Führung delegiert. Ist sie hoch, entwickelt sich eine stark abgestimmte Familie, die Führung gemeinsam ausübt.
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Für die Nachfolgegestaltung verdeutlicht das: Aufgrund zunehmender Vielfalt geht es nicht nur um personelle Veränderungen, vielmehr sind regelmäßig auch die Entscheidungsstrukturen und -prozesse anzupassen. Für den Fortbestand des Unternehmens ist es erheblich, ob die Familie das zu ihrer Situation passende Modell lebt. Deutlich wird das in der Gegenüberstellung von Generationen- und Eigentümermodellen.
Abb. 3: Generationen- und Eigentümermodelle
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Die Generationenmodelle betonen die Anzahl der Familienmitglieder, vor allem aber ihre Verbundenheit. In Generationenmodellen stehen jeder Generationenstufe idealtypisch bestimmte Führungs- und Beteiligungsverhältnisse gegenüber:
1. |
In der ersten Generation manifestiert sich die Beziehung zwischen Unternehmen und Familie in einer einzigen Person, dem Vater oder der Mutter als Gründer und Patriarch. |
2. |
In der zweiten Generation tritt an seine Stelle eine kleine Gruppe: die Geschwister. |
3. |
Ab der dritten Generation geht es um eine größere Gruppe (Vetternkonsortium oder Dynastie), die in ihren Kernfamilien unterschiedliche Prägung erfahren haben und die sich untereinander weniger gut kennen. |
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Die Eigentümermodelle knüpfen an der Anzahl und Zusammensetzung der Entscheider an. Die gedankliche Entkopplung von der Familie, an der sich das Generationenmodell anlehnt, erleichtert die sachgerechte Ausgestaltung der Führungsstrukturen. Sie legen zudem keine Reihenfolge nahe wie bei einer Generationenfolge: Familien können vielmehr entsprechend ihren Voraussetzungen das passende Modell wählen (z.B. von der Eigentümerfamilie zum Unternehmermodell durch Realteilung oder Buy-out).
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Während die Zugehörigkeit zu einer Generation vorgegeben ist, beruhen Eigentümermodelle auf Entscheidungen. Die Denklogik dahinter machen folgende Komplexitätsmodelle (mentale Modelle) transparent. Sie verknüpfen Vielfalt der Familie, Eigentümer- und Führungsstrukturen, Komplexität des Vermögens und das Selbstverständnis der Unternehmerfamilie.
1. Die patriarchale Logik:
Unternehmen und Familie werden durch eine Persönlichkeit koordiniert, wie es häufig durch den Gründer geschieht. Dieses Modell ist eher typisch für weniger verzweigte Familien.
2. Die Logik der professionellen Unternehmerfamilie:
Ein Team von Familienmitgliedern führt das komplexe unternehmerisch gebundene Vermögen mit hohem professionellem Anspruch. Die operative Führung durch (ein oder mehrere) Familienmitglieder wird als wesentlich wahrgenommen. Die Familienmitglieder zeigen hohe Bereitschaft, ihre individuellen Interessen dem gemeinsamen unterzuordnen. Erfolgreiche Familien zeichnen sich u.a. durch ihren besonderen Umgang mit Ungleichheit aus.
3. Die Logik der akti...