Rz. 106

Im nächsten Schritt ist zu bestimmen, ob die Verweisung auch das ausländische Kollisionsrecht umfasst. Das ist der gesetzlich angeordnete Regelfall im EGBGB (sog. Gesamtverweisung, Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Richtet sich die Verweisung dagegen unmittelbar auf das Sachrecht, so spricht man von einer Sachnormverweisung. Sie ist in der Praxis die Regel: Eine Sachnormverweisung liegt vor, wenn

das ausdrücklich bestimmt ist, Art. 4 Abs. 2 S. 1 EGBGB, so für:

die eingetragene Lebenspartnerschaft, Art. 17b EGBGB.
das Unterhaltsrecht, Art. 12 HUP (gilt kraft Verweisung nach Art. 15 EuUnthVO).
das Scheidungsrecht, Art. 11 Rom III-VO.
das gesamte Schuldvertragsrecht, Art. 20 Rom I-VO sowie auch für außervertragliche Schuldverhältnisse gem. Art. 24 Rom II-VO.
es dem Sinn und Zweck der Verweisung ausnahmsweise widerspricht, die ausländische Verweisungsentscheidung zu berücksichtigen (Art. 4 Abs. 1 S. 1 aE EGBGB):[228]
eine Rechtswahl getroffen wurde, Art. 4 Abs. 2 S. 2 EGBGB (siehe Rdn 30 ff.).

Kommt es zur Gesamtverweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB, Art. 34 EuErbVO für Drittstaatensachverhalte), muss in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob das berufene fremde Kollisionsrecht die Verweisung annimmt oder eine abweichende Verweisungsentscheidung ausspricht (Weiterverweisung auf eine dritte Rechtsordnung oder Rückverweisung auf das deutsche Recht). Das setzt die Prüfung fremden Kollisionsrechts voraus.[229] Eine Weiterverweisung kann nach Maßgabe des erstberufenen fremden Kollisionsrechts wiederum eine Gesamtnormverweisung darstellen, dh auch auf das Kollisionsrecht des zweitberufenen Rechts gerichtet sein und von dort auf ein drittes fremdes Recht weiter- oder auf eines der vorhergehenden Rechte zurückverweisen. Die Rückverweisung (renvoi) auf das deutsche Recht wird stets[230] als eine Sachnormverweisung behandelt und auf das deutsche Sachrecht bezogen (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Die Rückverweisung kann auch nur einen Teil des Vermögens betreffen (Teilrückverweisung). Eine versteckte Rückverweisung liegt vor, wenn das berufene Recht keine Kollisionsnormen besitzt, die dortigen Gerichte nur ihr eigenes Recht anwenden (zahlreiche Staaten der USA vor allem im Bereich des Familien- und Erbrechts[231]) und deren Zuständigkeit nicht gegeben ist. Daraus ist eine Verweisung auf das Recht des Staates abzuleiten, dessen Gerichte zuständig sind.[232]

[228] Palandt/Thorn, Art. 4 EGBGB Rn 5 f.; Staudinger/Hausmann, (Bearb. 2019) Art. 4 EGBGB Rn 101 f.
[229] Nach Sachbereichen geordnete Gesamtnormverweisungen des deutschen Rechts mit den sich daraus ergebenden Rück- und Weiterverweisungen, vgl. Staudinger/Hausmann, (Bearb. 2019) Art. 4 EGBGB Rn 216–424; zu Rück- und Weiterverweisungen im europäischen Verordnungskollisionsrecht, Staudinger/Hausmann, (Bearb. 2019) Art. 4 EGBGB Rn 195–212; Länderberichte über das Kollisionsrecht von 87 Staaten über Rück- und Weiterverweisungen sowie zur Unteranknüpfung bei Mehrrechtsstaaten, Staudinger/Hausmann, (Bearb. 2019) Anh. zu Art. 4 EGBGB.
[230] Das gilt auch bei einer Rückverweisung auf deutsches Recht durch das zweit- oder drittberufene Recht im Rahmen einer Weiterverweisung, Staudinger/Hausmann, (Bearb. 2019) Art. 4 EGBGB Rn 57. Rückverweisungen in der Verweisungskette auf ein ausländisches Recht sind analog Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB ebenfalls abzubrechen und als Sachnormverweisungen zu verstehen (str.), Palandt/Thorn, Art. 4 EGBGB Rn 3; NomosK-BGB/Freitag, Art. 4 EGBGB Rn 15; Erman/Hohloch, Art. 4 EGBGB Rn 7; a.A.: ein Abbruch ist nach dem zweitstaatlichen Kollisionsrecht zu entscheiden, auf das das deutsche Recht zunächst verwiesen hatte (sog. foreign court-Theorie) Staudinger/Hausmann, (Bearb. 2019) Art. 4 EGBGB Rn 58; Soergel/Kegel, Art. 4 Rn 19; v. Bar/Mankowski, Bd. 1, § 7 Rn 224.
[231] KG FamRZ 2007, 1564 Rn 8 (Massachusetts); nach Fallgruppen MüKo-BGB/v. Hein, Art. 4 EGBGB Rn 43 f.
[232] OLG Zweibrücken FamRZ 1999, 940; OLG Hamburg FamRZ 2001, 916; AG Leverkusen FamRZ 2002, 1484 f.; NomosK-BGB/Magnus, Art. 22 EGBGB Rn 68.

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