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Mit der ip-rechtlichen Fragestellung einher geht die Notwendigkeit der Ermittlung etwaig relevanter ausländischer Entscheidungen. Rechtskräftige Entscheidungen[19] ausländischer Gerichte sind von Amts wegen zu berücksichtigen.[20] Es erfolgt eine automatische (dh inzident festzustellende[21]) Anerkennung. Die Rechtswirkungen der ausländischen Entscheidung werden auf das Inland erstreckt.[22] Inhalt und Bindungswirkung (res iudicata) richten sich nach dem Recht des Urteilstaats, so dass u.U. auch präjudizielle Rechtsverhältnisse bindend festgestellt sein können.[23] Eine Klage auf Anerkennung einer ausländischen Entscheidung bleibt als (Zwischen-) Feststellungsklage möglich (§ 256 ZPO), bzw. Feststellungsantrag nach Art. 36 Abs. 2 EuGVO (2015) u. Art. 21 Abs. 1 EuEheVO.[24] Die materiellen Anerkennungsvoraussetzungen sind in den Art. 45 Abs. 1 EuGVO (2015) u. Art. 22 f. EuEheVO und autonom in § 328 ZPO (vgl. näher § 23 Rdn 46 ff.) sowie in § 109 FamFG geregelt.

Anhängige Verfahren in Mitgliedstaaten der EU führen zur Aussetzung bzw. Abweisung der Klage nach Maßgabe von Art. 2934 EuGVO (2015). Inhalt und Umfang der Rechtshängigkeitssperre reichen nach der Kernpunkttheorie des EuGH[25] weiter als nach deutschem Recht. Gerichtsverfahren in Drittstaaten führen nur bei positiver Anerkennungsprognose zum Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit und damit zur Abweisung oder zur Aussetzung des inländischen Verfahrens nach §§ 261 Abs. 3 Nr. 1148 ZPO[26] (vgl. § 23 Rdn 21 ff.). Eine Klage im Ausland kann grundsätzlich nicht gerichtlich unterbunden werden.[27] Rechtskräftige ausländische Entscheidungen können aber unter engen Voraussetzungen auch auf der Grundlage von § 826 BGB abgewehrt werden.[28]

Bedeutung hat eine ausländische Klage ferner in Bezug auf die Verjährung. Ist deutsches Verjährungsrecht anwendbar, so wird die Verjährung des Anspruchs bei einer Klageverfolgung im Ausland gehemmt, § 204 Nr. 1 BGB.[29] Dasselbe gilt bei einem ausländischen Mahnbescheid (§ 204 Nr. 3 BGB),[30] bei einer Drittbeteiligung durch Streitverkündigung in einem ausländischen Prozess (§ 204 Nr. 6 BGB) und bei einem Beweissicherungsverfahren im Ausland, § 204 Nr. 7 BGB.[31]

Eine im Ausland unter Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung erhobene Klage kann schließlich Schadensersatzansprüche auf Grundlage deutschen Rechts in Höhe der im Ausland zur Rechtsverteidigung aufgewandten Kosten auslösen und damit eine Klage im Inland begründen.[32]

[19] Noch nicht rechtskräftige Entscheidungen sind im Anwendungsbereich der EuGVO bereits anerkennungsfähig (arg. Art. 46 Abs. 1 EuGVO). Entscheidungen ausländischer Behörden besitzen dagegen grds. keine Bindungswirkung, vgl. mit Ausnahmen: Zöller/Geimer, § 328 Rn 67 f. Sie haben aber Indizwert und ihre privatrechtlichen Wirkungen werden ggf. anerkannt (etwa Administrativenteignungen); zur Anerkennung ausländischer Hoheitsakte v. Bar/Mankowski, Bd. 1, § 4 Rn 71 f.
[20] Bei identischem Streitgegenstand ist als unbegründet abzuweisen, BGH NJW 1987, 1146; a.A.: als unzulässig, Zöller/Geimer, § 328 Rn 36.
[21] Eine Ausnahme gilt nur noch für die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen nach § 107 FamFG außerhalb des Anwendungsbereichs der EuEheVO. Hier muss ein gesondertes Anerkennungsverfahren durchlaufen werden. Praktisch bedeutsam ist dies vor allem für die Anerkennung von ausländischen Ehescheidungen aus Nicht-EU-Staaten (Drittstaaten).
[22] Zöller/Geimer, § 328 Rn 20. Nach a.A. bedeutet Anerkennung die Gleichstellung mit inländischen Urteilen, so dass die ausländischen Urteilswirkungen aus dem nationalen Gleichstellungsakt und somit primär nach deutschem Recht zu bestimmen sind, vgl. BGH NJW 1983, 1977, 1978.
[23] Die Rechtskraftwirkung gilt nach EuGH v. 15.11.2012 – C-456/11 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG, EuZW 2013, 60 auch für Prozessurteile hinsichtlich aller tragenden Zwischenergebnisse; abl. Zöller/Geimer, § 328 Rn 39a; Roth, IPRax 2014, 136, 138.
[24] Hierzu Schack, Rn 1040 f., 1057.
[25] Ausgehend von EuGH v. 6.12.1994 – C-406/12 – Tatry, EuZW 1995, 309 Rn 40 f.; nach dieser sog. Kernpunkttheorie ist "derselbe Anspruch" bereits gegeben, wenn es in den Prozessen im Kern um denselben Streit (um die Rechtsfolgen aus ein und demselben Sachverhalt) geht, vgl. MüKo-ZPO/Gottwald, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rn 10.
[26] BGH NJW 2001, 524; BGH NJW-RR 2009, 1652; Zöller/Geimer, § 328 Rn 297.
[27] Die nach angelsächsischem Recht möglichen anti-suit injunctions durch ein staatliches Gericht sind unzulässig, vgl. EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02 – Grovit, RIW 2004, 541; EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07 – West Tankers, NJW 2009, 1655 (zum Schutz eines Schiedsverfahrens); aber offen bei Anordnung durch ein Schiedsgericht, EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13 – Gazprom, EuZW 2015, 509, Anm. Pfeiffer, LMK 2015, 370522.
[28] Vgl. MüKo-ZPO/Gottwald, § 322 Rn 224 ff.; eingehend M. Stürner, RabelsZ 71 (2007) 597.
[29] MüKo-BGB/Grothe, § 204 Rn 9; eingehend C. Wolf, IPRax 2007, 180.
[30] BGH NJW-RR 2002, 937 (Zahl...

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