Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
I. Sorgfältig ausgewählt, geschult und überwacht
Rz. 1
Da Fehler des Anwalts, die zu einem Fristversäumnis führen, einem Fehler der Partei gleichstehen, § 85 Abs. 2 ZPO, und bei schuldhafter Fristversäumung eine Wiedereinsetzung gem. §§ 233 ff. ZPO ausgeschlossen ist, kommt der Frage, ob und in welchem Umfang welche Mitarbeiter im Bereich des Fristenmanagements eingesetzt werden können und dürfen, eine besondere Rolle zu. Dabei haben Anwälte darauf zu achten, dass Fehler der Mitarbeiter, die zu einem Fristversäumnis führen, ihnen als Anwälte dann angelastet werden, wenn sie ein Organisationsverschulden trifft. Dann greift wiederum § 85 Abs. 2 ZPO. Die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zusammenhang mit Fehlern, die durch Mitarbeiter in der Kanzlei verursacht worden sind, ist äußerst umfangreich und letztendlich kommt es in vielen Fällen auf den sog. Einzelfall an. Gleichwohl hat der BGH natürlich in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Punkte in seiner Rechtsprechung herausgearbeitet, die es unbedingt einzuhalten gilt, damit dem Prozessbevollmächtigten eben gerade ein Organisationsverschulden nicht vorgeworfen werden kann. Es kann – und soll, um den Rahmen dieses Werks nicht zu sprengen – daher nur eine Auswahl wichtiger BGH-Rechtsprechung nachstehend dargestellt werden. Selbstverständlich finden unsere Leser auch bei konkreten Themen in den jeweiligen Kapiteln dieses Werks weitergehende Ausführungen zu den Anforderungen an die Büroorganisation.
Rz. 2
Ein Rechtsanwalt kann die Fristenkontrolle grundsätzlich auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbstständigen Erledigung übertragen. Diese Grundsätze gelten erst recht im Fall der Übertragung der Fristenkontrolle auf juristische Hilfskräfte wie z.B. Referendare. Nach Ansicht des BGH kann sich der Rechtsanwalt i.d.R. bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften noch mehr als beim Laienpersonal darauf verlassen, dass diese um die Bedeutung von Rechtsmitteln wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, was bedeutet, dass die Anforderungen an die Überwachungspflichten für den Rechtsanwalt geringer sind. Auch wenn der Rechtsanwalt erkrankt ist und diese Krankheit nicht "schwerstens" ist, kann er daher die Fristüberwachung auf einen Referendar übertragen. Wird der Anwalt diesen Anforderungen an die Auswahl und Überwachung seines Personals gerecht, ist es ihm nicht als eigenes Verschulden gem. § 85 Abs. 2 ZPO anzulasten, wenn ein Mitarbeiter die Fristen- oder Ausgangskontrolle im Einzelfall nicht oder nicht sorgfältig durchführt.
Rz. 3
Rechtsanwälte haben durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden; unverzichtbar sind eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und mindestens stichprobenartige regelmäßige Kontrollen des Personals. Wobei der BGH 2020 entschied, dass ein Anwalt nicht verpflichtet ist, durch Stichproben eine allgemeine Anweisung zur Ausgangskontrolle der Schriftsätze zu überwachen, wenn – wie hier – glaubhaft gemacht wird, dass die eingesetzte Bürokraft während ihrer langjährigen Tätigkeit noch nie eine Frist versäumt und es sich um einen einmaligen Fehler gehandelt hatte. Bei dieser Entscheidung ging es jedoch um die Postausgangskontrolle, nicht um die Tätigkeit des Fristennotierens.
Rz. 4
Die Anfertigung einer Rechtsmittelbegründungsschrift darf der Rechtsanwalt einer zuverlässigen Büroangestellten übertragen, wobei er die Ausführung grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen muss; erforderlich ist jedoch, dass in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Anweisung z.B. im Trubel des Geschäfts in Vergessenheit gerät und die Übersendung eines zulässigen Rechtsmittels unterbleibt. Nach Ansicht des BGH sind solche Vorkehrungen nur dann entbehrlich, wenn das Büropersonal zugleich unmissverständlich angewiesen wird, die zu erledigende Aufgabe sofort auszuführen.
Rz. 5
Sofern ein Rechtsanwalt den Posteingang nicht selbst überwacht, muss er dafür Sorge tragen, dass der Posteingang in Rechtsmittelsachen durch zuverlässiges und erprobtes Büropersonal bearbeitet wird, wobei er durch organisatorische Anordnungen sicherzustellen hat, dass das Büropersonal die Eingangspost auf Fristsachen hin überprüft, die eine unverzügliche Veranlassung erfordern."