Rz. 2
Bevor man sich mit den prozessualen Fragen des Vergleichsschlusses befasst, ist es sinnvoll, sich das Wesen des Vergleichs vor Augen zu führen.
I. Definition
Rz. 3
Der Vergleich ist in § 779 BGB geregelt. Dort ist er – vereinfacht gesagt – definiert als ein gegenseitiges Nachgeben zur Regelung einer streitigen Frage. Von einem Vergleich spricht man also immer dann, wenn zwischen zwei Parteien Streit über einen Anspruch besteht und die Parteien im Wege des gegenseitigen Nachgebens diese Frage aus der Welt schaffen. Wesentlich ist dabei, dass beide Parteien zumindest etwas nachgeben müssen, es kommt also nicht darauf an, wer mehr nachgibt, was man ja in der Rechtspraxis (anders als in theoretisch vorgegebenen Fallkonstellationen auch) nicht genau feststellen kann, da bei Vergleichsschluss bei einem anhängigen Prozess zumeist niemand genau weiß – häufig auch noch nicht das Gericht, das die wechselseitigen Risiken nach der Aktenlage vor Vergleichsschluss regelmäßig im Gütetermin, aber gerne auch noch danach, erläutert –, wer nun in der Sache tendenziell mehr nachgeben müsste. Die Parteien sehen das zudem regelmäßig sehr unterschiedlich, weil sie ja zumeist meinen (oder zumindest hoffen), vollumfänglich Recht zu haben, eben dieses aber bei Vergleichsschluss nur teilweise und in zu geringem Umfang als die Gegenpartei zu bekommen.
II. Rechtsfolgen
Rz. 4
In materiell-rechtlicher Hinsicht führt der Vergleich dazu, dass die materiell-rechtlich zuvor bestandenen oder nicht bestandenen Ansprüche entsprechend dem Vergleich abgeändert werden, d.h. tatsächlich zuvor bestandene Ansprüche werden teilweise beseitigt, zuvor nicht bestandene Ansprüche erzeugt.
III. "Abgeltungsklauseln"
Rz. 5
Durch Vergleiche können sämtliche Rechtsfragen erschöpfend geregelt werden. Da der Vergleich ein Instrument zur Beilegung von Streitigkeiten ist, kommt es nicht selten vor, dass man mit ihm, wenn man sich dann tatsächlich einvernehmlich einigt, zur Vermeidung neu aufkeimender Streitigkeiten an einer anderen bislang nicht prozessual anhängig gewesenen Stelle, gleich alle zwischen Parteien tatsächlich oder vermeintlich bestehenden Streitfragen unter den Parteien aus der Welt schafft. Dies geschieht zumeist durch sog. "Abgeltungsklauseln". Diese werden üblicherweise etwa wie folgt formuliert: "Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit Ausnahme der in diesem Vergleich geregelten Ansprüche wechselseitig keinerlei Ansprüche mehr untereinander egal aus welchem Rechtsgrund bestehen." Diese Klauseln sind für den Anwalt überaus gefährlich, da mit ihnen sämtliche eventuell der eigenen Partei zustehenden Ansprüche vernichtet werden. Der Anwalt muss sich daher der Rechtsfolgen einer solchen Klausel bewusst sein und deren Wirkung auf andere Ansprüche, die ggf. schon rechtshängig sind, abschätzen. Daher muss er zuvor noch einmal klar und nachweislich (schriftlich!) mit der Partei das Risiko einer solchen Klausel abstimmen. Ggf. hilft es, die Abgeltung auf alle aus tatsächlichen oder vermeintlichen wechselseitigen Ansprüchen aus dieser Angelegenheit und mit dieser unmittelbar zusammenhängend zu beschränken.
IV. Büromäßige Behandlung
Rz. 6
Abgeltungsklauseln sind auf der einen Seite sinnvoll zur endgültigen Streitbeilegung unter den Parteien über den Klagegegenstand hinaus, auf der anderen Seite durchaus gefährlich und regressträchtig. Der Anwalt muss daher immer im Vorfeld eines Gerichtstermins und damit vorprogrammierter Vergleichsgespräche mit dem Gericht mit dem Mandanten klären, ob und wenn ja, was vermeintlich zwischen den Parteien weiter streitig ist, was dem Anwalt bislang aber nicht bekannt ist. Zum anderen sollte er in Fällen, wo dies zeitlich möglich ist, dem Mandanten vorab den Wortlaut des zu protokollierenden Vergleichs mitteilen. Diese schriftliche Abstimmung funktioniert nicht immer und naturgemäß nicht in den häufigen Fällen eines Vergleichsschlusses unmittelbar im Gerichtssaal im Güteverfahren oder der sich häufig darauf gleich anschließenden streitigen Verhandlung. Wenn dort die Partei nicht anwesend ist, sollte man, wenn man zu der Frage eines Vergleichsabschlusses und dessen Grenzen nicht explizit vorabgestimmt ist – was man natürlich immer versuchen sollte –, entweder den Vergleich nur widerruflich abschließen oder aber um eine kurze Pause bitten, in der man dann – wie zuvor mit dem Mandanten natürlich abgestimmt – den Mandanten telefonisch kontaktiert, um sich von ihm seine Entscheidung der Zustimmung oder Versagung zu dem konkreten Vergleich auf Basis der telefonisch skizzierten Einschätzung nach Erörterung durch das Gericht einzuholen.