Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 166
Das Bilanzrecht schreibt in § 251 Satz 1 HGB vor, dass bestimmte Haftungsverhältnisse eines Kaufmannes, die nicht schon auf der Passivseite der Bilanz dargestellt werden, unter der (Passivseite der) Bilanz auszuweisen sind. Für die handelsrechtliche Gewinnermittlung ist § 251 HGB ohne Bedeutung. Damit spielt die Vorschrift auch ertragsteuerrechtlich keine Rolle (vgl. § 5 Abs. 1 EStG). Der Begriff "Haftungsverhältnisse" ist ein Oberbegriff, der sich bilanzrechtlich eigenständig aus der Aufzählung der vier in § 251 HGB genannten Anwendungsfälle erschließt:
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Verbindlichkeiten aus der Begebung und Übertragung von Wechseln; |
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Verbindlichkeiten aus Bürgschaften sowie aus Wechsel- und Scheckbürgschaften; |
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Verbindlichkeiten aus Gewährleistungsverträgen sowie |
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Haftungsverhältnisse aus der Bestellung von Sicherheiten für fremde Verbindlichkeiten. |
Haftungsverhältnisse erreichen nicht selten 7 %-10 % der Bilanzsumme und erlangen damit praktische Relevanz bei der Kreditsicherung, der Refinanzierung aus Wechseln und bei Gewährleistungen besonderer Art. § 251 HGB steht im systematischen Zusammenhang mit den §§ 268 Abs. 7, 285 Nr. 3, 285 Nr. 9c HGB. Für Kreditinstitute ist ergänzend auf § 340a Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. der Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute vom 10.2.1992 hinzuweisen.
Rz. 167
Den in § 251 Satz 1 HGB geregelten Haftungsverhältnissen ist gemeinsam, dass eine Inanspruchnahme des Kaufmanns zwar rechtlich möglich, am Bilanzstichtag jedoch noch nicht konkret zu erwarten ist. Von den zu passivierenden Verbindlichkeiten oder Rückstellungen unterscheiden sich die vermerkpflichtigen Tatbestände durch den Grad der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme. Wenn der Eintritt der Belastung sicher oder wahrscheinlich erscheint, ist (ausschließlich) eine Passivierung geboten. Die Haftungsverhältnisse i.S.d. § 251 HGB umfassen daher nur diejenigen Risiken, die möglicherweise ("eventuell") eine Belastung darstellen, mit deren Eintritt der Bilanzierende jedoch nicht rechnet. Rechtliche Zweifel an der Wirksamkeit eines Haftungsverhältnisses berechtigen nicht zur Unterlassung eines Vermerkes. Bei unklarer Rechtslage ist im Zweifel eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung anzunehmen. Damit ergibt sich für die Erfassung der Haftungsverhältnisse im Bereich der Rechnungslegung folgende abgestufte Reihenfolge:
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Passivierung, |
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Vermerk bzw. Vermerk- oder Angabepflicht gem. §§ 251, 268 Abs. 7 HGB der Haftungsverhältnisse, |
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Angabepflicht gem. § 285 Nr. 3a HGB der "sonstigen Haftungsverhältnisse". |
Die Angabepflicht von Haftungsverhältnissen ist für Nicht-Kapitalgesellschaften in § 251 HGB abschließend geregelt. Dort nicht genannte "sonstige Haftungsverhältnisse" sind nicht vermerkpflichtig; eine analoge Anwendung des § 285 Nr. 3a HGB auf Nicht-Kapitalgesellschaften kommt aufgrund der klaren gesetzlichen Vorgaben nicht in Betracht.
Der Zweck der Vorschrift besteht folglich darin, den Bilanzleser über den Bestand spezieller (vertraglicher) Haftungsrisiken, aus denen eine Inanspruchnahme zwar möglich ist, mit deren Realisierung der Bilanzierende zum Abschlussstichtag jedoch nicht zu rechnen hat, zu informieren. Es geht also um eine transparentere Darstellung der Vermögens- und Finanzlage.
Hinweis
Die Inanspruchnahme aus entsprechenden Verpflichtungen kann zu einer erheblichen Vermögensbelastung führen.