Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 147
Der Begriff des Vermögensgegenstandes umfasst nicht Schulden (vgl. §§ 240 Abs. 1, 246 Abs. 1 HGB). Aus § 247 Abs. 1 HGB ergibt sich die Zusammensetzung der Passivseite der Bilanz: Eigenkapital, Schulden und transitorische (passive) RAP (§ 250 Abs. 2 HGB). Schulden wiederum können Verbindlichkeiten und Rückstellungen sein.
Rz. 148
Die Verbindlichkeit ist vom Rückstellungsbegriff abzugrenzen. Bei der Rückstellung ist die Verbindlichkeit dem Grunde und der Höhe nach noch ungewiss. Grds. erfordert eine zu passivierende Verbindlichkeit den durchsetzbaren Anspruch eines Dritten. Allerdings sind aus Vorsichtsgründen auch einredebehaftete Forderungen bei Erfüllungsbereitschaft sowie Verbindlichkeiten, bei denen nicht alle Elemente des durchsetzbaren Anspruchs vorliegen (z.B. fehlende Fälligkeit), zu passivieren. Der Umfang der gesondert auszuweisenden Verbindlichkeiten ergibt sich für Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i.S.d. § 264a HGB aus § 266 Abs. 3 C HGB:
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Anleihen, |
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Verbindlichkeiten ggü. Kreditinstituten, |
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erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, |
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Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, |
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Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener Wechsel und aus der Ausstellung eigener Wechsel, |
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Verbindlichkeiten ggü. verbundenen Unternehmen, |
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Verbindlichkeiten ggü. Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, und |
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sonstige Verbindlichkeiten. |
Bei kleinen und kleinsten Gesellschaften ist ein zusammengefasster Ausweis möglich (§ 266 Abs. 1 Sätze 3 und 4 HGB).
Ist eine Verbindlichkeit zwar rechtlich entstanden, aber noch nicht wirtschaftlich verursacht, hat eine (vollständige) Passivierung auf den früheren Bilanzstichtag zu erfolgen. Eine Anwendung des Realisationsprinzips auf die Passivseite in Form einer Periodisierung des Aufwandes ist nicht zulässig (vgl. o. Rdn 103).
Rz. 149
Gesellschafterdarlehen sind im Jahresabschluss als Verbindlichkeiten zu passivieren. Dies gilt unabhängig davon, ob sie in der Krise des Unternehmens gewährt wurden (eigenkapitalersetzende Darlehen nach a.F. des GmbHG) oder nicht. Der Diskussion, ob "eigenkapitalersetzende Darlehen" als solche kenntlich zu machen sind, ist durch die Abschaffung der Vorschriften über das eigenkapitalersetzende Darlehen durch das MoMiG die Grundlage entzogen.
Rz. 150
Besondere Probleme werfen Rangrücktrittsvereinbarungen und Genussrechte mit sog. Eigenkapitalcharakter auf. Im Ausgangspunkt entspricht es der herrschenden Meinung, dass Verbindlichkeiten, die erst aus künftigen Gewinnen zu bedienen sind (Genussrechte, Besserungsscheine), nicht (weiter) passiviert werden dürfen und auszubuchen sind, wenn die Gläubigerrechte entweder am Verlust in voller Höhe teilnehmen oder aufschiebend bedingt sind. Hintergrund ist das Interesse einer periodengerechten Ergebnisermittlung, weshalb die Erwartung künftiger Gewinne für sich betrachtet eine Passivierungspflicht nicht zu begründen vermag. Werden Genussrechte ausschließlich erfolgsabhängig und mit Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung einschließlich einer Nachrangigkeit in Insolvenz und Liquidation ausgestaltet, erfüllt das zugeführte Kapital handelsbilanzrechtlich die Funktion von Eigenkapital. Man spricht insoweit von sog. hybriden Finanzierungen mit Eigenkapitalcharakter.
Rz. 151
Soweit Drittgläubiger oder Gesellschafter, die ein Darlehen gegeben haben, ihre Forderung einer (schuldrechtlichen) Rangrücktrittsvereinbarung unterstellen, bleibt es im Grundsatz bei einer Passivierung der Verbindlichkeit bei der Gesellschaft. Denn bei dem Rangrücktritt handelt es sich lediglich um einen schuldändernden Vertrag i.S.d. § 311 Abs. 1 BGB, der den Bestand der Forderung unberührt lässt und bloß die Erfüllungsmodalitäten modifiziert. Namentlich gewährt die Vereinbarung dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht. Der Zweck des Rangrücktritts besteht darin, im insolvenzrechtlichen Überschuldungsstatus die Gläubigerforderung als Verbindlichkeit auszubuchen und dem Eigenkapital zuzurechnen, um damit die Überschuldung von Kapitalgesellschaften und von Gesellschaften, die unter §§ 130a, 177a HGB fallen, zu reduzieren bzw. zu beseitigen (vgl. §§ 19 Abs. 2 Satz 2, 39 Abs. 2 InsO). Allerdings würde handelsbilanzrechtlich außerhalb der Insolvenz der Gesellschaft deren Kapitalsituation nicht korrekt wiedergegeben, wenn der Betrag der Verbindlichkeit ausgebucht und stattdessen ein Ertrag ausgewiesen würde. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls dann, wenn es sich um eine – regelmäßig anzunehmende – schuldrechtliche Rangrücktrittsvereinbarung i.S.d. § 39 Abs. 2 InsO handelt. Vereinbaren die Parteien demgegenüber einen dinglichen Forderungserlass i.S.d. § 397 BGB unter der aufschiebenden Bedingung einer Besserungsabrede ("Besserungsschein"), wird erst künftiger Gewinn und damit nicht das aktuelle unternehmerische Vermögen belastet. In diesem Fall ist die Verbindlichkeit auszubuchen.
Hinweis
Die Ausbuchung muss nicht ertragswirksam erfolgen, sondern kann zuminde...