Rz. 6
Die EuGVO als Herzstück des europäischen internationalen Zivilprozessrechts enthält ein umfassendes Regelwerk zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit. Gemeinsam mit den kollisionsrechtlichen Rom I- und Rom II-Verordnungen dient es dazu, ein einheitliches System des internationalen Privat- und Zivilprozessrechts in Zivil- und Handelssachen zu schaffen, um innerhalb der EU Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen zu gewährleisten und damit rechtsmissbräuchliches forum shopping zu verhindern. Zu diesem Zweck normiert die EuGVO klar definierte Zuständigkeiten. Neben der internationalen wird teilweise auch die örtliche Zuständigkeit bestimmt.
Abgesehen von den ausschließlichen Zuständigkeiten, Gerichtsstandsvereinbarungen, Fällen rügeloser Einlassung sowie Verbraucher- und Arbeitnehmerklagen sind die EuGVO-Gerichtsstände eröffnet, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU hat; ansonsten gilt das nationale Zuständigkeitsrecht (Art. 6 EuGVO). Darüber hinaus genügt ein einfacher grenzüberschreitender Bezug, und zwar auch zu einem Nichtmitgliedstaat. Aus dem Anwendungsbereich der EuGVO ausgeschlossen sind lediglich reine Inlandsprozesse. Der räumliche Anwendungsbereich der EuGVO ist damit in der Praxis sehr groß.
Rz. 7
Art. 4 EuGVO eröffnet den allgemeinen Beklagtengerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten. Die Art. 7–23 EuGVO regeln besondere Gerichtsstände. Besondere praktische Bedeutung haben der allgemeine Vertragsgerichtsstand am Erfüllungsort nach Art. 7 Nr. 1 EuGVO sowie der Gerichtsstand für deliktische Ansprüche am Handlungs- und Erfolgsort nach Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Für Ansprüche aus Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen enthält die EuGVO teils zusätzliche, teils zwingende Sonderregelungen zum Schutz des Versicherungsnehmers, des Verbrauchers und des Arbeitnehmers als strukturell schwächer eingestufte Parteien.
Spezielle Annexzuständigkeiten, die in dieser Form dem deutschen Prozessrecht unbekannt sind, sieht Art. 8 EuGVO bei mehreren Beklagten, für Regressklagen, Widerklagen und Vertragsklagen am dinglichen Gerichtsstand vor, sofern die Konnexität der Klagen gegeben ist.
Schließlich eröffnet Art. 24 EuGVO die ausschließliche Zuständigkeit für Klagen hinsichtlich dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen (am Belegenheitsort), bestimmter gesellschaftsrechtlicher Klagen wie etwa Auflösungsklagen oder Beschlussmängelstreitigkeiten (am Gesellschaftssitz), Klagen bezüglich einzelner Registerrechte (am Ort der Registerführung), Klagen im gewerblichen Rechtsschutz (am Ort der Hinterlegung oder Registrierung) sowie Klagen in Bezug auf die Zwangsvollstreckung (am Vollstreckungsort).
Einstweilige Maßnahmen können nach Art. 35 EuGVO zum einen von einem nach der Verordnung zuständigen Gericht erlassen werden. Zum anderen können die im nationalen Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen auch dann beantragt werden, wenn für die Hauptsacheentscheidung das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist, sofern zwischen dem Gegenstand der Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts eine "reale Verknüpfung" besteht.