Rz. 38

Ist nach den Regeln des IPR ausländisches Recht anzuwenden, ist das Gericht nach § 293 ZPO verpflichtet, sich die erforderlichen Rechtskenntnisse von Amts wegen zu verschaffen.[115] Bei der Ermittlung des fremden Rechts darf sich das Gericht nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss unter Verwendung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen.[116] So kann das Gericht von ausländischen Behörden Auskünfte einholen, so etwa nach dem Londoner Übereinkommen vom 7.6.1968, nach dem die Vertragsstaaten kostenlos Rechtsauskünfte über ihr Zivil- und Handelsrecht, ihr Verfahrensrecht auf diesen Gebieten und ihre Gerichtsverfassung erteilen. Da diese Auskünfte aber sehr knapp gehalten sind,[117] wird das Gericht bei komplexeren Rechtsfragen regelmäßig ein Rechtsgutachten zum ausländischen Recht einholen müssen.[118] Im oben genannten Beispiel würde sich ein deutsches Gericht die Frage stellen, ob der geltend gemachte Schadensersatzanspruch von der Restschuldbefreiung nach irischem Recht erfasst wird. Hierzu würde es zunächst die in Art. 7 Abs. 1 EuInsVO enthaltene Kollisionsnorm anwenden und zu dem Ergebnis kommen, dass aus deutscher Sicht irisches Insolvenzrecht Anwendung findet. Zu den Rechtsfragen, die irischem Insolvenzrecht unterliegen, würde es dann regelmäßig nach § 293 ZPO ein Rechtsgutachten einholen.

 

Rz. 39

Die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts ist trotz der Neufassung des § 545 ZPO nur eingeschränkt revisibel. Vom Revisionsgericht kann nicht die Verletzung ausländischen Rechts überprüft werden; es wird lediglich überprüft, ob der Tatrichter sein Ermessen im Rahmen des § 293 ZPO rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere sich anbietende Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hinreichend ausgeschöpft hat.[119] Dies ist nicht schon deshalb der Fall, weil die Parteien sich mit einer bestimmten Art der Kenntnisverschaffung, etwa einer Auskunft nach dem Londoner Abkommen, zufriedengeben.[120]

[115] BGH 14.1.2014 – II ZR 192/13, WM 2014, 357, 358 Rn 15; Geimer, IZPR, Rn 2581; Nagel/Gottwald, IZPR, § 11 Rn 18, 29; Schack, IZVR, Rn 756. Das Gericht muss aber nicht von sich aus die Tatsachen ermitteln, aus denen sich die Anwendbarkeit ausländischen Rechts ergeben könnte, Schack, IZVR, Rn 754.
[116] BGH 14.1.2014 – II ZR 192/13, WM 2014, 357, 358 Rn 15; vgl. auch Geimer, IZPR, Rn 2581; Schack, IZVR, Rn 758. Das Gericht kann zwar eigene Nachforschungen anstellen und etwa ausländische Gesetzesbücher, Literatur und Rechtsprechung konsultieren. In der Praxis scheitert ein Selbststudium selbst im Falle ausreichender Sprachkenntnisse aber regelmäßig am schwierigen Zugang zu den ausländischen Rechtsquellen.
[117] Nach Art. 7 erschöpft sich die Auskunft "in der Mitteilung des Wortlauts der einschlägigen Gesetze und Verordnungen sowie in der Mitteilung von einschlägigen Gerichtsentscheidungen".
[118] Als Sachverständige kommen in erster Linie inländische Universitätsprofessoren mit einem Lehrstuhl für Rechtsvergleichung oder das Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Betracht; Schack, IZVR, Rn 763; ferner Nagel/Gottwald, IZPR, § 11 Rn 30, 34.
[119] BFH 7.12.2017 – IV R 23/14, NZG 2018, 433, 435 Rn 33; BGH 14.1.2014 – II ZR 192/13, WM 2014, 357, 358 Rn 14; BGH 4.7.2013 – V ZB 197/12, NJW 2013, 3656 Rn 18 ff.; zust. etwa Roth, NJW 2014, 1224; krit. dagegen Prütting, EWiR 2014, 303.

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