1. Anhalten vor dem eigentlichen Schutzbereich
Rz. 6
Ein Rotlichtverstoß liegt nicht vor, wenn der Kraftfahrer sowohl Ampel als auch die Haltelinie zwar bei Rotlicht passiert, aber noch vor dem eigentlichen Schutzbereich anhält (BGH NZV 1998, 119; OLG Bremen DAR 2002, 225; OLG Frankfurt NZV 2008, 588). Es ist dann lediglich der Verwarnungsgeldtatbestand "Überfahren der Haltelinie" erfüllt (BayObLG NZV 1994, 200)."
Rz. 7
Achtung: Ältere Überwachungsanlagen
Der Richter wird eine entsprechende Behauptung des Betroffenen nur widerlegen können, wenn das Fahrzeug des Betroffenen zweimal fotografiert wurde, nämlich das erste Mal beim Überfahren der Haltelinie und das zweite Mal nach dem Einfahren in die Kreuzung. Viele (ältere) Rotlichtüberwachungsanlagen fertigen jedoch nur ein einziges Foto, und zwar in dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene die Haltelinie überfährt.
2. Umgehung der Ampel
Rz. 8
Ein Rotlichtverstoß liegt auch dann nicht vor, wenn der Kraftfahrer die Rot zeigende Ampel dadurch umgeht, dass er über ein seitlich gelegenes Grundstück fährt, um die kreuzende Straße zu erreichen (OLG Düsseldorf NZV 1998, 41; OLG Hamm DAR 2007, 340; OLG Hamm DAR 2013, 512). Dies ist allerdings dann anders zu beurteilen, wenn er noch im unmittelbaren Kreuzungsbereich wieder in den durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich einfährt (OLG Hamm DAR 2002, 465).
3. Spurwechsel
Rz. 9
Entgegen der von verschiedenen Oberlandesgerichten (z.B. OLG Celle zfs 1994, 306) vertretenen Auffassung, die an Ampelanlagen mit unterschiedlichen Lichtzeichen für Geradeaus- und Abbiegeverkehr einen Rotlichtverstoß verneinte, wenn der Betroffene zwar in der durch Rot gesperrten Spur die Ampel passierte, dann aber auf eine durch Grünlicht freigeschaltete andere Fahrspur wechselte, lastet der BGH dem Kraftfahrer bereits dann einen Rotlichtverstoß an, wenn er auch nur ein kurzes Stück auf der durch Rotlicht gesperrten Spur fährt (BGH NZV 1998, 119); ihm folgend z.B. BayObLG DAR 2002, 173; KG NZV 2010, 361.
Rz. 10
Das gilt natürlich erst recht, wenn der Betroffene die Ampel zwar auf der durch Grünlicht freigegebenen Spur passiert, dann aber auf einer durch Rotlicht gesperrten anderen Spur weiterfährt (KG NZV 2010, 361; OLG Köln zfs 2016, 229). Allerdings ist in diesen Fällen das Einfahren in den geschützten Bereich maßgeblich für die Zeitmessung (OLG Hamm zfs 2018, 292).
4. Stau nach Passieren der Ampel
Rz. 11
Ein Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung hatte in den Fällen, in denen der Betroffene - wenn auch nur mit den Vorderrädern seines Fahrzeuges - die Ampel noch bei Grünlicht passiert hatte, einen Rotlichtverstoß auch dann verneint, wenn er bei zwischenzeitlich bereits auf Rot stehender Ampel die Kreuzung räumte (OLG Köln DAR 1998, 244).
Rz. 12
Dem hat der BGH (zfs 1999, 444) widersprochen. Er bejaht in diesen Fällen immer einen Rotlichtverstoß, die Frage kann dann nur noch sein, ob ein solcher Verstoß als zum Fahrverbot führender qualifizierter Verstoß zu bewerten ist (so auch OLG Stuttgart DAR 2003, 574).
5. Ampeldefekt
Rz. 13
Im Falle eines offensichtlich vorliegenden Ampeldefekts (Dauerrot) darf die Ampel ausnahmsweise bei Rotlicht passiert werden; dies allerdings nur mit äußerster Vorsicht und Rücksichtnahme auf den Querverkehr. Auf einen offensichtlichen Ampeldefekt darf erst nach einer längeren Beobachtungszeit geschlossen werden, drei Minuten reichen hierzu nicht aus (OLG Hamm NZV 2000, 52). Auch das Rotlicht einer Ampelanlage stellt nämlich einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung dar und Verwaltungsakte sind auch dann zu beachten, wenn sie rechtswidrig sind. Nichtig und damit unbeachtlich werden sie nur, wenn ihre Fehlerhaftigkeit für jedermann offensichtlich ist (zu den Einzelheiten vgl. § 20 Rdn 25 ff., Nichtigkeit von Verwaltungsakten).