1. Maßgeblicher Messpunkt
Rz. 14
Zu der Frage, welcher Punkt für die Zeitmessung maßgeblich ist, werden verschiedene Auffassungen vertreten. Die erste hält das Erreichen der Kreuzung, die zweite das Passieren der Ampel und die dritte das Überfahren der Haltelinie für den maßgeblichen Punkt.
Rz. 15
Die unterschiedlichen Messpunkte führen zu erheblichen, oft entscheidenden Zeitdifferenzen. Am günstigsten für die Betroffenen ist ein frühestmöglicher Stopp der Uhr, also an dem - in Fahrtrichtung gesehen - nächstgelegenen Punkt, nämlich der Haltelinie.
Rz. 16
Diese Auffassung hatte sich zwischenzeitlich in der OLG-Rechtsprechung durchgesetzt (vgl. z.B. OLG Dresden NZV 1998, 335; OLG Hamm NZV 2008, 309; Hanseatisches OLG NZV 2010, 42; OLG Saarbrücken zfs 2016, 352), als sich ihr der BGH (zfs 1999, 444) - wie er betont, lediglich aus Praktikabilitätsgründen - anschloss.
Rz. 17
Ist allerdings keine Haltelinie vorhanden, soll (nach umstrittener Auffassung) nicht das Passieren der Lichtzeichenanlage, sondern das Einfahren in die Kreuzung der maßgebliche Messpunkt sein (OLG Hamm zfs 2001, 232).
Rz. 18
Tipp: Induktionsschleife
Die Uhr der Ampelanlage beginnt mit dem Umspringen auf Rot zu laufen. Sie wird gestoppt, sobald das Fahrzeug mit den Vorderrädern die im Straßenbelag verlegte Induktionsschleife überfährt. Zu einer korrekten Messung kommt es deshalb nur dann, wenn diese Induktionsschleife auch am maßgeblichen Punkt, der Haltelinie, verlegt ist.
Meist liegt sie etwa einen Meter vor der Haltelinie, was mit einem Abzug von 0,1 Sekunden auszugleichen ist (OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.2.2017 IV-1 RBs 264/16).
Rz. 19
Liegt sie - in Fahrtrichtung des Betroffenen gesehen - hinter der Haltelinie, werden um bis zu 0,3 Sekunden, bei sehr langsamer Fahrt gar bis zu 0,5 Sekunden längere Rotlichtzeiten gemessen (OLG Köln NZV 1998, 472; OVG Berlin DAR 2000, 328).
Rz. 20
Ob eine solche Fehlmessung vorliegt, kann der Verteidiger an dem in der Akte befindlichen Messfoto erkennen. Hat das Fahrzeug nämlich mit den Vorderrädern in diesem Zeitpunkt bereits die Haltelinie passiert, ist von einer Fehlmessung zu Lasten des Betroffenen auszugehen.
Das Foto wird nämlich in dem Augenblick geschossen, in dem die Vorderräder die Induktionsschleife überfahren. Aus dem Abstand zwischen Vorderrädern und Haltelinie lässt sich dann die Wegstrecke ermitteln, um die die Induktionsschleife zu weit von der Haltelinie entfernt liegt. Unter Zugrundelegung der Fahrzeuggeschwindigkeit lässt sich dann die Zeitspanne ermitteln, um die die Messung zu spät beendet wurde.
Rz. 21
Achtung: Bedeutung auch für Toleranzbereich
Diese Fehlermöglichkeit ist nicht erst für die Frage von Bedeutung, ob ein qualifizierter Rotlichtverstoß vorliegt, sondern auch für Fälle, in denen die ermittelte Rotlichtzeit knapp über der Toleranz von 0,5 Sekunden liegt.
Der Betroffene kann dann nämlich mit Erfolg darauf verweisen, dass der Verstoß bei korrekter Messung noch in den Toleranzbereich gefallen und nicht verfolgt worden wäre. Sein Anspruch auf Gleichbehandlung nötigt hier u.U. zur Einstellung des Verfahrens, zumindest zur Reduzierung der Geldbuße (vgl. den ähnlich gelagerten Sachverhalt bei unter Missachtung von Toleranzstrecken durchgeführten Geschwindigkeitsmessungen, siehe § 20 Rdn 22).
2. Eichung
Rz. 22
Eine weitere Fehlerquelle stellt die Uhr der Rotlichtüberwachungsanlage dar, sie muss nämlich gültig geeicht sein (OLG Köln NZV 1993, 161), wovon sich der Richter prozessordnungsgemäß (Protokoll!) anhand der Eichurkunde überzeugen muss. Bei mit dem Provida festgestellten Verstößen muss darüber hinaus noch ein Standorteichschein vorliegen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 25.10.17 - Ss RS 17/2017 [30/17 OWi]).
Rz. 23
Rz. 24
Fehlt die Eichung oder ist sie nicht mehr gültig, führt dies zwar nicht zwangsläufig zur Unverwertbarkeit der Messung, es muss dann aber ein höherer Sicherheitsabschlag vorgenommen werden, dessen Höhe i.d.R. der Richter nur mit Hilfe eines Sachverständigen bestimmen kann (OLG Hamm NZV 1993, 361; OLG Celle NZV 1996, 419).
Rz. 25
Tipp: Unverwertbarkeit
Das OLG Koblenz (Urt. v. 19.1.2005 - 1 Ss 349/04) ist anderer Auffassung. Es hält ein unter der Verletzung der Eichvorschriften gewonnenes Beweisergebnis für unverwertbar, weil es nach seiner Auffassung schlechterdings nicht hinnehmbar sei, dass der Staat auf der einen Seite seinen Bürgern unter Bußgeldandrohung Messungen mit ungeeichten Geräten verbiete, auf der anderen Seite staatliche Organe sich aber an diese Vorgaben nicht hielten.