Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 170
Für das gerichtliche Verfahren gelten die gleichen Grundsätze wie beim Umgangsrecht (siehe Rdn 67).
Praxistipp:
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Für die praktische Behandlung ergeben sich noch Unterschiede zwischen Verfahren zum Umgangsrecht und zur elterlichen Sorge. |
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Denn die Schwelle, einem Elternteil das Sorgerecht zu entziehen und dem anderen Elternteil das alleinige Sorgerecht zu übertragen, liegt noch deutlich höher als der Eingriff bei einer Umgangsregelung zwischen den Eltern. |
1. Aussetzung eines Sorgerechtsverfahrens
Rz. 171
Das Sorgerechtsverfahren kann nach § 21 FamFG ausgesetzt werden.
2. Verhältnis zwischen einstweiliger Anordnung und Hauptsacheverfahren
Rz. 172
Auch beim Sorgerechtsverfahren stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Verfahren der einstweiligen Anordnung und dem Hauptsacheverfahren (zur gleichgelagerten Fragestellung beim Umgangsverfahren siehe Rdn 116).
§ 49 Abs. 1 FamFG stellt für die einstweilige Anordnung eine besondere Zulässigkeitshürde auf, indem ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden des Gerichts gefordert wird. Ein schlichtes Regelungsbedürfnis reicht dagegen nicht aus.
Rz. 173
Gerichtliche Verfahren zum Sorgerecht sind in aller Regel darauf gerichtet, abweichend von der gesetzlichen Vorgabe des gemeinsamen Sorgerechts einem Elternteil alleine die elterliche Sorge über ein gemeinsames Kind zu übertragen.
Diese Entscheidung beinhaltet aber immer auch eine Entziehung des Sorgerechts des anderen Elternteils. Daher besteht angesichts dieses gravierenden Eingriffs in dessen Elternrecht eine große Zurückhaltung, diese Entscheidung im Rahmen des summarischen Verfahrens der einstweiligen Anordnung zu treffen.
Rz. 174
Praxistipp:
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Oft geht es gar nicht darum, die vollständige elterliche Sorge (Personensorge und Vermögenssorge) zu regeln, sondern lediglich um das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teilbereich der elterlichen Sorge. |
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Geht es in einem gerichtlichen Eilverfahren darum, einer möglichen Gefährdung des Kindes durch den anderen Elternteil entgegen zu wirken, so ist es in der Praxis häufig sinnvoller, das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht dem anderen Elternteil, sondern dem Jugendamt als "neutrale Stelle" zu übertragen. |
3. Kostenentscheidungen in Sorgerechtsverfahren
Rz. 175
Auch in Sorgerechtsverfahren ist wie in Umgangsverfahren über die Kosten nach den §§ 80 ff. FamFG zu entscheiden, siehe oben Rdn 94. Dabei besteht in aller Regel keine Möglichkeit, gem. § 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG die Kosten des Verfahrens wegen dessen grob schuldhafter Veranlassung einem Elternteil aufzuerlegen, sodass regelmäßig beide Eltern mit Kosten belastet werden.
4. Verfahrenswert in Sorgerechtsverfahren
a) Verfahrenswert des Hauptsacheverfahrens zum Sorgerecht
Rz. 176
Beim isolierten Verfahren zur elterlichen Sorge werden als Regelwert gem. § 45 Abs. 3 FamGKG 4.000 EUR angesetzt, Erhöhung nach Billigkeit ist möglich, aber ebenfalls unabhängig von der Anzahl der betroffenen Kinder. Auch eine Kürzung ist möglich. Eine vom Regelfall abweichende Werterhöhung ist gerechtfertigt, wenn das Verfahren in Umfang und Schwierigkeit oder seiner Bedeutung für die Beteiligten, aber auch im Hinblick auf deren soziale und finanzielle Verhältnisse von den sonst zu entscheidenden Fällen abweicht. Allerdings genügt nicht jede Abweichung der Umstände des konkreten Einzelfalls vom Durchschnitt für eine Erhöhung des Regelwerts. Vielmehr muss bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände die Abweichung von einer durchschnittlichen Kindschaftssache von erheblichem Gewicht sein, und zwar hinsichtlich des Arbeitsaufwands für das Gericht und die Verfahrensbevollmächtigten. Jeder der in § 45 Abs. 1 Nr. 1 – 4 FamGKG aufgeführten Fälle ist im Hinblick auf das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle für die Wertkorrektur nach Abs. 3 gleich zu behandeln.
Rz. 177
Eine Erhöhung des Verfahrenswerts über den in § 45 Abs. 1 Nr. 2 FamGKG vorgesehenen Festbetrag hinaus ist nicht zu rechtfertigen, wenn das Umgangsverfahren sowohl im Hinblick auf die Verfahrensdauer von fast sechs Monaten als auch bezüglich des Aktenumfangs von 113 Seiten bis zum Erlass der Hauptsacheentscheidung – bis zu diesem Zeitpunkt gingen fünf inhaltlichen Vortrag enthaltende Beteiligtenschriftsätze und ein Jugendamtsbericht ein – als jedenfalls nicht überdurchschnittlich zu bezeichnen ist. Eine Erhöhung des Verfahrenswerts kann auch nicht auf eine gestörte Kommunikation auf Elternebene, Hochstrittigkeit der Kindeseltern oder darauf gestützt werden, dass die Auseinandersetzung der Kindeseltern auch der Ferienregelung galt und diesbezüglich eine Vielzahl von Unklarheiten und gegensätzlichen Vorstellungen zur Sprache kamen.
Rz. 178
Verfahren der elterlichen Sorge sind nicht nach einzelnen im Lauf des Verfahrens in den Vordergrund der Überlegungen getretenen Teilaspekten der elterlichen Sorge einzeln zu bewerten. Eine Addition von Einzelwerten innerhalb des Anwendungsbereichs des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG kommt daher ebenfalls nicht in Betracht. Dies schließt auch eine Wertaddition aus gegenläufigen Anträgen, Anregungen und sonst geäußerten Begehren gemäß § 39 FamGKG innerhalb des Verfahrensgegenstandes der elterlichen Sorge nach § 45 Abs. 1 Nr....