unanfechtbar
Entscheidungsstichwort (Thema)
Familienrecht. Anhörung und rechtliches Gehör im Sorgerechtsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens vermag das Gericht nicht von seiner Verpflichtung zur persönlichen Anhörung des betroffenen Kindes nach § 50b Abs. 1 FGG zu entbinden. Ebenfalls kein Ersatz ist die in einem anderen Verfahren betr. das Umgangsrecht durch dasselbe Familiengericht erfolgte Anhörung des Kindes, jedenfalls dann, wenn diese schon längere Zeit zurückliegt.
2. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs umfasst im Sorgerechtsverfahren auch die Verpflichtung des Gerichts, zu dem tatsächlichen Vorbringen der Parteien umfassend in der Entscheidung Stellung zu nehmen.
Normenkette
FGG § 50b Abs. 1
Verfahrensgang
AG Leverkusen (Aktenzeichen 32 F 314/97) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Leverkusen vom 18.2.2000 aufgehoben und die Sache zur Durchführung weiterer, von Amts wegen vorzunehmender Ermittlungen sowie zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht – Familiengericht – Leverkusen zurückverwiesen.
2. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Auslagen bleibt dem Amtsgericht vorbehalten.
3. Der Antragsgegnerin wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. in K., dem Antragssteller ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D. in K. bewilligt, und zwar jeweils sowohl für das Beschwerde- wie für das Anschlussbeschwerdeverfahren.
Gründe
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag der Kindesmutter, ihr das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter S. zu übertragen, zurückgewiesen, da „Anhaltspunkte weder vorgetragen noch ersichtlich sind, daß die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht.”
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet.
Eine gemeinsame elterliche Sorge setzt voraus, dass beide Elternteile konsensfähig und konsenswillig sind. Fehlt es hieran, besteht also die notwendige Basis für eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge nicht, so entspricht das gemeinsame Sorgerecht dem Kindeswohl gerade nicht am besten. Das Kindeswohl ist jedoch der Maßstab, an dem zu messen ist, ob beiden Eltern gemeinsam oder nur einem Elternteil allein die elterliche Sorge zu übertragen ist. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch nach der Neufassung des § 1671 BGB durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz die gemeinsame Sorge nicht den Regelfall darstellt, die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil daher nicht eine bloße Ausnahmeregelung oder gar eine „ultima ratio” ist, wie es von Anteilen der Rechtsprechung und Literatur bislang vertreten worden ist (vgl. hierzu OLG Hamm FamRZ 1999, 1597; Palandt/Diederichsen, BGB, 60. Aufl. § 1671 Rn. 18 m.w.N.). Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des BGH in seiner Entscheidung vom 29. September 1999 – XII ZB 3/99, = FamRZ 1999, 1646 = MDR 2000, 31= NJW 2000, 203. Dieser hat dazu ausgeführt:
Die Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge durch das Kundschaftsrechtsreformgesetz enthält kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinn, daß eine Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge bestehen und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht kommen sollte (vgl. BT-Drucks. 13/4899 S. 63, 99; Johannsen/Henrich/Jaeger Eherecht 3. Aufl. 1671 Rdn. 34). Ziel der Neugestaltung des Rechts der elterlichen Sorge durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz war die Einführung eines zum Teil modifizierten Antragsverfahrens – unter Abschaffung des Zwangsverbundes für die Regelung der elterlichen Sorge im Ehescheidungsverfahren – bei weitgehender Gleichbehandlung des elterlichen Sorgerechts bei verheirateten und nicht miteinander verheirateten Eltern. Demgemäß knüpft das Gesetz die Sorgerechtsregelung nicht mehr an die Scheidung, sondern an die (nicht nur vorübergehende) Trennung der Eltern an, verzichtet aber sowohl bei der Trennung als auch bei der Scheidung auf eine gerichtliche Sorgerechtsentscheidung von Amts wegen mit der Folge, daß – ohne Antrag auf Übertragung der Alleinsorge oder eines Teiles der elterlichen Sorge auf den antragstellenden Elternteil – die bisher bestehende gemeinsame Sorge der Eltern fortdauert (vgl. FamRefK/Rogner vor 1671 BGB Rdn. 8-14). Wird ein Antrag auf Übertragung der Alleinsorge (oder eines Teiles der Sorge) gestellt, so ist diesem entweder stattzugeben, wenn der andere Elternteil zustimmt und das mindestens 14 Jahre alte Kind nicht widerspricht (1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB), oder andernfalls, wenn zu erwarten ist, daß die beantragte Regelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht (1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Es soll danach zwar in erster Linie Sache der Eltern sein zu entscheiden, ob sie die gemeinsame Sorge nach ihrer ...