Rz. 21
Übersicht
Diebstahl, § 242 StGB
Tatobjekt: fremde bewegliche Sache; Fremdheit ist zu bejahen, wenn die Sache nicht im Alleineigentum des Täters steht
Tathandlung: Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams (faktischer Begriff mit normativer Komponente), Besitzfiktion des § 857 gilt nicht. Mitgewahrsamsbruch genügt.
Subjektiv muss Vorsatz vorliegen und Absicht rechtswidriger Zueignung (Vorsatz bezüglich endgültiger Verdrängung des Eigentümers – Enteignung; Absicht bezüglich Anmaßung der Eigentümerstellung – Aneignung).
Unterschlagung, § 246 StGB
Tatobjekt: fremde bewegliche Sache
Tathandlung: Rechtswidrige Zueignung mittels (eindeutiger) Manifestation des Zueignungswillens oder An-/Enteignung des Eigentümers.
Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
Qualifikation:
veruntreuende Unterschlagung, § 246 Abs. 2 StGB
Privilegierung von Angehörigen, § 247 StGB
Rz. 22
Diebstahl und Unterschlagung schützen beide das Eigentum und setzen somit die Fremdheit der Sache voraus. Dabei ist § 246 StGB (Unterschlagung) als Auffangtatbestand konstruiert. Er greift damit immer ein, wenn es an einer Wegnahme im Sinne von § 242 StGB fehlt.
Beispiel 8
E hat zwei Söhne S und P. Während P auf einer Geschäftsreise ist, erkrankt E und verstirbt. S durchsucht nach dem Ableben seines Vaters dessen Schreibtisch und findet einen Stapel Inhaberaktien, den S an sich nimmt, um sie für sich zu behalten.
Die Inhaberaktien standen nach dem Ableben des Erblassers im (Gesamtshand-)Eigentum der Miterben (§ 1922 BGB). Damit handelte es sich für S um fremde Sachen, § 242 StGB scheidet mangels Fremdheit der Sache nur dann aus, wenn diese herrenlos ist oder im Alleineigentum des Täters steht. Maßgebend für das strafrechtlich geschützte Eigentum sind insoweit die zivilrechtlichen Vorschriften über den Erwerb/Verlust von Eigentum.
Anders gestaltet sich dies bei dem für das Merkmal der Wegnahme bedeutsamen Begriffs des Gewahrsams. Wegnahme bedeutet den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig eigenen Gewahrsams. Der zivilrechtliche Besitzbegriff im Sinne der §§ 854 ff. BGB deckt sich hiermit nicht vollständig, denn Gewahrsam bedeutet tatsächliche Sachherrschaft auf der Grundlage eines sogenannten Sachherrschaftswillens; diese kann beim Besitzdiener vorliegen, ohne dass dieser dadurch zum Besitzer würde. Umgekehrt wird ein mittelbarer Besitzer regelmäßig keine tatsächliche Sachbeherrschung haben und somit auch keinen Gewahrsam. Angesichts dieser unterschiedlichen Begrifflichkeit gilt die Besitzfiktion des § 857 BGB für den strafrechtlichen Gewahrsamsbegriff nicht. Damit werden die Sachen des Erblassers (Inhaberaktien) zunächst gewahrsamslos bis jemand (zum Beispiel ein Miterbe zugunsten der Erbengemeinschaft) durch Verbringung der Sachen in die eigene Gewahrsamssphäre neuen Gewahrsam begründet. Bis zu diesem Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams scheidet ein Diebstahl aus.
Rz. 23
In Beispiel 8 (siehe Rdn 22) fehlt es mangels Bruchs fremden Gewahrsams an einer Wegnahme, so dass der Auffangtatbestand der Unterschlagung greift. Dieser erfordert beim Täter weder (vorherigen) Besitz noch Gewahrsam, sondern stellt allein darauf ab, dass der Täter seinen Zueignungswillen nach außen dokumentiert hat. S hat diesen Willen durch das Beiseiteschaffen der und die damit einhergehende Begründung Eigengewahrsams an den Aktien objektiviert erkennen lassen, denn hierdurch sollte offenkundig die Position der Gesamthandeigentümer verschlechtert werden. S hat somit die fremden Inhaberaktien unterschlagen, da er auch vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht handelte.
Etwas anderes gilt hinsichtlich der Gewahrsamsverhältnisse allerdings regelmäßig dann, wenn sich die Sachen des Verstorbenen in einer "generell beherrschten Gewahrsamssphäre" eines Dritten befinden; wenn also (in Beispiel 8, siehe Rdn 22) der Erblasser zum Beispiel im Seniorenheim lebte, wird nach der Verkehrsanschauung von einer Gewahrsamsbegründung beim Inhaber des Heimes auszugehen sein. Ein genereller bzw. potenzieller Gewahrsamswille wird ganz überwiegend für ausreichend gehalten, so dass dem S ein Gewahrsamsbruch und damit ein Diebstahl vorzuwerfen wäre.
Rz. 24
Beispiel 9
Die aus den zu gleichen Teilen bedachten Miterben S, V und T bestehende Erbengemeinschaft trifft sich im Einfamilienhaus des Erblassers, um sich einen Überblick über das Inventar zu machen. Eine Verteilung erfolgt nicht. Noch am selben Abend geht S allein und ohne Absprache zurück und nimmt einen Teil der dort belassenen Münzsammlung an sich.
An einer Wegnahme von Teilen der fremden Sachgesamtheit bestehen hier keine Bedenken, denn der (Mit-)Gewahrsam der Miterben ist nach Kenntnis von der Erbenstellung und nach Besichtigung des Inventars anzunehmen. Da spätestens ab diesem Zeitpunkt auch ein (genereller) Gewahrsamswille der Miterben gegeben ist, liegt eine Wegnahme durch S vor. Dieser handelte auch vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht, so dass ein Diebstahl gegeben ist.
Rz. 25