Rz. 16
Die Unterdrückung von Urkunden gem. § 274 StGB kommt vorliegend in zwei Konstellationen in Betracht: Die Entstehung von Erbengemeinschaften kann hierdurch verhindert oder umgekehrt – wenn die gesetzliche Erbfolge eine solche nicht vorsieht, wohl aber das errichtete Testament – erst begründet werden.
Rz. 17
Beispiel 7
a) |
Der Erblasser hat zwei Söhne, von denen A als Alleinerbe in einem formgültigen privatschriftlichen Testament eingesetzt wurde. Der enterbte Sohn B geht nach dem Tod des Erblassers in das Altersheim und verbrennt in einem unbeobachteten Moment das Testament. |
b) |
Der verwitwete Erblasser hat seine drei Söhne A, B, C zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt entsprechend der gesetzlichen Erbfolge. Das abweichende und zeitlich frühere Testament zugunsten des A ist formungültig. B hat das letzte Testament in Unkenntnis der Formungültigkeit des älteren Testaments zerrissen. |
c) |
Der Erblasser hat seine Ehefrau als Vorerbin eingesetzt und seine drei Kinder als Nacherben zu gleichen Teilen wobei alle ein Vorab von 10.000 EUR bekommen sollen. B ist Mitglied der Nacherbengemeinschaft und zerstört das Testament. |
Während in diesen Fällen ein Diebstahl schon mangels Zueignungsabsicht ausscheidet, kommt hingegen – neben der verwirklichten Sachbeschädigung (§ 303 StGB) – Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB, in Betracht. Durch die Zerstörung des Testaments hat der B eine ihm nicht ausschließlich gehörende Urkunde vernichtet. Hierbei kommt es nicht entscheidend darauf an, wer Eigentümer der Urkunde ist. Selbst wenn der Vater das Testament auf einem Schreibblock des B geschrieben und ihm zur Aufbewahrung gegeben hätte, würde die Urkunde ihm nicht ausschließlich gehören; denn entscheidend im Sinne des § 274 StGB ist, ob ein Dritter in Bezug auf die Urkunde beweisführungsberechtigt ist. Dies ist bei Sohn A der Fall, was sich auch darin dokumentiert, dass der B gem. § 2259 BGB nicht nur auskunfts-, sondern auch herausgabeverpflichtet ist.
Subjektiv handelt B in allen drei Varianten des Fallbeispiels 7a–c auch mit der notwendigen Nachteilszufügungsabsicht, denn unter Nachteil ist jede Beeinträchtigung fremder, nicht zwingend vermögensbezogener Rechte zu verstehen. Es muss somit nicht "saldiert" werden, ob der B vermögensrechtlich mit oder ohne das Testament besser gestellt gewesen wäre; hierauf kommt es für die Bejahung eines Nachteils i.S.v. § 274 StGB nicht an. Also ist auch im Beispiel 7c eine Nachteilszufügungsabsicht zu bejahen, denn es kommt nicht darauf an, dass die Mit(nach)erben später die 10.000 EUR gegebenenfalls ohnehin bekommen. Im Beispiel 7b ist ebenso unerheblich, dass im zerstörten Testament nur die gesetzliche Erbfolge sich widerspiegelte, die letztlich durch die Formunwirksamkeit des ersten Testaments auch ohne das Testament eintrat. Unabhängig hiervon wird regelmäßig im erbrechtlichen Zusammenhang aber auch ein Vermögensbezug vorliegen. (Zur Frage, ob in solchen Fällen ein Betrug durch Unterlassen möglich ist, vgl. Rdn 43).