Rz. 135
Beispiel 39
Der Erblasser verstarb am 17.1.2008 und wurde von seinen beiden Söhnen S und B sowie seiner Ehefrau E beerbt. S einigte sich am 25.1.2008 mit seinen beiden Miterben dahingehend, dass ihm die im Keller der väterlichen Wohnung aufbewahrten beweglichen Gegenstände allein gehören sollten. Am 25.2.2008 entdeckte S allein im Nachlass des Vaters drei Selbstladepistolen und einen Akku Munition, die in einer Sicherheitskassette im Keller verwahrt wurden. S ließ die Waffen und die Munition im Keller liegen, die zwei Monate später sichergestellt wurden.
Beispiel 40
Variante: Miterbe B wusste von den Waffen und bestärkt S darin, keinen Erlaubnisantrag zu stellen, da ihm diese Erlaubnis sowieso nicht erteilt würde aufgrund seiner früheren Vorstrafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes.
Im Rahmen des vor dem 1.4.2003 geltenden Waffengesetzes (WaffG a.F.) bedurfte grundsätzlich jeder im Umgang mit Waffen oder Munition einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Besaß demgegenüber jemand ohne eine derartige Erlaubnis eine Waffe oder Munition, machte er sich grundsätzlich gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3 WaffG (in seiner Geltung bis 31.3.2002) strafbar. Schon im WaffG a.F. gab es allerdings ein sogenanntes Erbenprivileg. Dies ist in dem heute geltenden Waffengesetz erhalten geblieben.
Gemäß § 20Abs. 2 WaffG ist den Erben der Erwerb und der Besitz von Schusswaffen durch einen Erbfall ohne die bei sonstigen Personen geforderte Sachkunde und das an sich erforderliche besondere Bedürfnis gestattet. Allerdings bedarf auch der Erbe gem. § 20 WaffG einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Diese sogenannte Waffenbesitzkarte haben die Erben spätestens binnen eines Monats nach der Annahme der Erbschaft oder dem Ablauf der für die Ausschlagung der Erbschaft vorgeschriebenen Frist für die zum Nachlass gehörenden erlaubnispflichtigen Schusswaffen zu beantragen (§ 20 Abs. 1 S. 2 WaffG). Unterlassen dies die Erben, so machen sie sich gleichwohl nicht strafbar, denn § 53 Abs. 1 Nr. 7 WaffG (in der Fassung vom 4.3.2013) geht als lex specialis vor: Danach handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 20 WaffG die Ausstellung einer Waffenbesitzkarte nicht binnen Monatsfrist beantragt. Dieser Privilegierungstatbestand stuft seinem Regelungsgehalt nach die an sich vorliegende Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herab. Damit schließt die Ordnungswidrigkeit des § 53 Abs. 1 Nr. 7 WaffG den Straftatbestand nach § 52 Abs. 3 Nr. 2 lit. a WaffG als lex specialis aus. Dieses Erbenprivileg gilt unstreitig für den Besitz geerbter Schusswaffen. Damit hat S in Beispiel 37 eine mit Geldbuße zu ahndende Ordnungswidrigkeit begangen.
Rz. 136
Umstritten ist, ob die Regelung des § 53 Abs. 1 Nr. 7 WaffG auch auf den Besitz von Munition auszuweiten ist. Letzterer ist neuerdings gem. § 52 Abs. 3 Nr. 2 lit. d WaffG unter Strafe gestellt. Allerdings findet sich in § 53 Abs. 1 Nr. 7 WaffG kein Hinweis darauf, dass diese Ordnungswidrigkeit auch für den unberechtigten Munitionsbesitz greifen soll. Es wird deshalb erwogen, § 20 WaffG analog auf den Munitionsbesitz anzuwenden. Eine solche "Analogie zugunsten des Täters" wäre zulässig und würde dann über die Privilegierung des § 53 Abs. 1 Nr. 7 WaffG zu einer bloßen Ordnungswidrigkeit führen und nicht zur Strafbarkeit des Verhaltens des S.
Rz. 137
Die Verjährung einer derartigen Ordnungswidrigkeit richtet sich nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz. § 31 Abs. 2 Nr. 2 OWiG benennt eine zweijährige Verjährungsfrist, die mit Ablauf der Frist zur Anzeige nach Annahme der Erbschaft beginnt. Die Miterben, die nie die tatsächliche Gewalt über die Waffen und Munition ausgeübt haben, handeln nicht ordnungswidrig. Sie traf keine Anzeigepflicht.
Rz. 138
Anders stellt sich die Rechtslage allerdings in Beispiel 40 (siehe Rdn 135) dar, soweit B Kenntnis von den Waffen hatte und er S in seinem Entschluss bestärkte. Wie § 14 OWiG klarstellt, ist im Ordnungswidrigkeitenrecht keine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme getroffen. Es gilt vielmehr der sogenannte Einheitstäterbegriff: "Beteiligen sich mehrere an einer Ordnungswidrigkeit, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig." (§ 14 Abs. 1 S. 1 OWiG). Dadurch wird im Ordnungswidrigkeitenrecht die Rechtsanwendung erleichtert und vereinfacht, denn es muss nicht bei jedem Tatbeitrag zwischen Mittäterschaft und Teilnahme differenziert werden.
Eine Beteiligung im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn jemand an einer nicht nur von ihm allein begangenen Handlung bewusst und gewollt mitwirkt. Die Mitwirkungshandlung kann auch durch Unterlassen erfolgen, allerdings ist – ebenso wie im Strafrecht – erforderlich, dass das Verhalten für die Tatbestandsverwirklichung ursächlich (förderlich) geworden ist.
B hat im Beispielsfall 40 S im Sinne einer psychischen Beihilfe in seinem Entschluss bestärkt, entgegen § 53 Abs. 7 WaffG keinen Erlaubnisantrag innerhalb eines Monats nach Annahme der Erbschaft zu stellen. Dies ist – obwohl B nie die tatsächliche Gewalt über die Waffe ausübte – als ...