Rz. 11
Nach der Begriffsdefinition in § 180 VVG liegt Invalidität vor bei einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit. Weiterhin heißt es in § 180 S. 2 VVG:
Eine Beeinträchtigung ist dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung dieses Zustandes nicht erwartet werden kann.
Rz. 12
Die Invalidität muss spätestens 15 Monate (früher 12 Monate) nach dem Unfallereignis eingetreten sein (2.1.1.1 AUB 2014/A.4.5.1.2 AKB 2015). Hierbei handelt es sich um eine Anspruchsvoraussetzung. Ein späterer Eintritt der Invalidität führt nicht zu Ansprüchen aus der Unfallversicherung, da eine solche nicht versichert ist. Ausreichend ist, dass spätestens nach 15 Monaten nach ärztlicher Prognose Dauerfolgen voraussichtlich verbleiben werden.
Ferner muss die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt und "geltend gemacht" werden (vgl. 2.1.1.1 AUB 2014/A.4.5.1.3 AKB 2015).
Nach einer Entscheidung des BGH vom 19.11.1997 verstößt die frühere Bestimmung, dass die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht werden muss, nicht gegen § 307 BGB.
Bei den vorgenannten Fristen handelt es sich nicht um Obliegenheiten, sondern um Ausschlussfristen. Daher ist kein Verschulden erforderlich.
Rz. 13
Das Einreichen der Unfallanzeige ist noch keine Geltendmachung der Invalidität. Es reicht aber die reine Behauptung, es sei unfallbedingt eine Invalidität eingetreten.
Rz. 14
Die ärztliche Feststellung muss – obschon der Wortlaut der Klausel hierfür nichts hergibt – nach herrschender Meinung aus Gründen der Rechtssicherheit und Beweissicherung schriftlich erfolgen. Eine elektronische Datensicherung ist ausreichend.
Die ärztliche Feststellung muss die Bestätigung der Kausalität des Unfalles für die Invalidität enthalten und wahrt die Frist nur hinsichtlich des angesprochenen Verletzungsbereiches.
Demgegenüber muss die ärztliche Feststellung nicht richtig sein, den Invaliditätsgrad angeben oder sogar die Gliedertaxe anwenden.
Für die ärztliche Feststellung einer Invalidität reicht es nicht aus, dass ein Arzt nur vom Vorliegen eines Dauerschadens innerlich überzeugt ist, ohne innerhalb der 15-Monats-Frist eine entsprechende schriftliche Feststellung zu treffen.
Rz. 15
Obschon die AVB eine Hinweisobliegenheit des Versicherers auf laufende Fristen nicht explizit vorsehen, wird diese von der Rechtsprechung wegen der Gefahr des Anspruchsverlustes in bestimmten Fällen angenommen.
So ist der Versicherer verpflichtet, auf den drohenden Fristablauf hinzuweisen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für eine inzwischen eingetretene Invalidität des Versicherungsnehmers hat oder die Möglichkeit einer Invalidität für ihn erkennbar oder zumindest nicht fernliegend war.
Rz. 16
Lediglich in Ausnahmefällen kann die Fristversäumung entschuldigt bzw. das Berufen des Versicherers auf die Fristversäumnis treuwidrig sein.
Entschuldigt kann die Versäumung der Frist zur Geltendmachung sein, wenn der Versicherungsnehmer die rechtzeitige Absendung des Schreibens mit der Geltendmachung der Invalidität nachweisen kann, dieses aber nicht zugegangen ist.
Rz. 17
Die bloße Unkenntnis der 15-Monats-Frist ist kein hinreichender Entschuldigungsgrund. Auch die falsche Auskunft des behandelnden Arztes, dass mit Spätfolgen nicht zu rechnen sei, sowie die Nichterstellung der ärztlichen Feststellung durch den behandelnden Arzt trotz mehrfacher Bitten sind keine ausreichenden Entschuldigungsgründe (aber eventuell Regressanspruch gegen den Arzt).
Rz. 18
Treuwidrig ist das Berufen auf fehlende fristgerechte Feststellung oder Geltendmachung der Invalidität, wenn der Arzt innerhalb der Frist unveränderliche, unfallbedingte Gesundheitsschäden feststellt, nicht aber die daraus folgende Invalidität oder wenn ein vor Fristablauf vom Versicherer beauftragtes aber erst nach Fristablauf erstattetes Gutachten die Invalidität feststellt.
Rz. 19
Gleiches gilt, wenn der Versicherte aus den Umständen entnehmen konnte, dass der Versicherer sich nicht auf die Fristversäumung berufen werde, der Versicherte sich auf Verlangen des Versicherers erheblich belastenden Untersuchungen unterzogen hat oder mitgeteilt hat, er werde drei Jahre nach dem Unfall ein ärztliches Gutachten einholen.
Rz. 20
Ein Versicherer handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er seine Eintrittspflicht bereits dem Grunde nach innerhalb der 15-Monats-Frist ablehnt und sich dann später auf den Fristablauf beruft.
Ebenso liegt ein Verstoß des Versicherers gegen Treu und Glauben vor, wenn er trotz Fristablauf zunächst ärztliche Atteste einholt, einen Vergleichsvorschlag macht und sich dann auf den Fristablauf beruft, nachdem der Versicherungsnehmer den Vergleichsvorschlag abgelehnt hat.
Auch wenn die Invalidität binnen 15 Monaten unzweifelhaft eingetreten und ihre Dauerhaftigkeit evident ist, kann es treuwidrig sein, ...