Rz. 98
Zum Nachlass gehörende Gesellschaftsbeteiligungen sind nach der gesetzlichen Regelung für Zwecke der Pflichtteilsberechnung grundsätzlich mit ihrem wahren Wert (einschließlich eines etwaigen Firmenwerts und stiller Reserven) zu bewerten. Noch nicht abschließend geklärt ist indes die Frage, ob der volle Wert auch dann anzusetzen ist, wenn der Gesellschaftsvertrag für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters eine im Vergleich dazu geringere Abfindung vorsieht. Aus Sicht des Erben erscheint es unbillig, wenn er dem Pflichtteilsberechtigten den vollen Wert der Beteiligung ersetzen muss, aber im Falle seines eigenen Ausscheidens nur einen geringeren Wert erhält. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Erbe nicht über ausreichende liquide Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs verfügt und es deshalb zu einer zwangsweisen Verwertung des Gesellschaftsanteils kommt. Aus Sicht des Pflichtteilsberechtigten wäre es umgekehrt wenig sachgerecht, wenn er nur i.H.d. gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Abfindung am Nachlass beteiligt wird, der Erbe aber tatsächlich gar nicht aus der Gesellschaft ausscheidet. Im Grundsatz ist wohl davon auszugehen, dass es für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs auf den vollen Wert der Beteiligung ankommt und etwaige Abfindungsklauseln im Gesellschaftsvertrag sich nicht zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten auswirken. Ausnahmen kommen nur für solche Fälle in Betracht, bei denen der Erbe innerhalb kurzer Zeit nach Eintritt des Erbfalls tatsächlich aus der Gesellschaft ausscheidet bzw. dessen Ausscheiden im Zeitpunkt des Erbfalls zumindest objektiv wahrscheinlich ist. Für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ist es dann allerdings nicht notwendig, den im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Abfindungswert, sondern einen Zwischenwert ansetzen. Bei dessen Bestimmung gilt es, einen angemessenen Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Pflichtteilsberechtigten einerseits und des Erben andererseits zu finden.
Rz. 99
Maßgebend sind stets alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Dabei können u.a. folgende Aspekte zu berücksichtigen sein:
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Leistungsfähigkeit des Unternehmenserben; |
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Bedürftigkeit des Pflichtteilsberechtigten; |
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Eigenkapital- und Liquiditätssituation des Unternehmens; |
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Zukunftsaussichten des Unternehmens; |
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Höhe des Pflichtteilsanspruchs; |
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Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert und dem Wert aufgrund der Abfindungsklausel; |
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sonstige vermögensmäßige oder persönliche Beziehungen zwischen dem Unternehmenserben bzw. Pflichtteilsberechtigten und dem Unternehmen (z.B. Mitarbeit im Unternehmen, Zugehörigkeit zu Organen des Unternehmens und in diesem Zusammenhang bestehende Vergütungsansprüche, Bestehen von Darlehensverträgen oder Kreditsicherheiten). |
Rz. 100
An Stelle einer angemessenen Reduzierung der Höhe des Abfindungsanspruchs können im Einzelfall auch andere Maßnahmen (z.B. die Stundung des Pflichtteilsanspruchs oder die Einräumung eines Leistungsverweigerungsrechts) sachgerecht sein und möglicherweise mit einem weniger weitgehenden Eingriff in die Rechte des Pflichtteilsberechtigten verbunden sein.