Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
(1) Allgemeines
Rz. 126
Das Nachlassgericht muss Ermittlungen zur Testierfähigkeit des Erblassers nur dann anstellen, wenn nach § 2229 Abs. 4 BGB Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit vorliegen. Denn die Testierunfähigkeit ist ein Ausnahmetatbestand zu der vermuteten Testierfähigkeit von Personen, die ihr 16. Lebensjahr vollendet haben, § 2229 Abs. 1 BGB. Der Erblasser wird solange als testierfähig angesehen, wie nicht das Gegenteil bewiesen ist. Bei nicht behebbaren Zweifeln muss von der Testierfähigkeit ausgegangen werden.
Rz. 127
Das OLG Düsseldorf hat den Verfahrensablauf bei der Ermittlung der Testierunfähigkeit eines Erblassers instruktiv dargestellt:
Zitat
"Die Klärung der im Wesentlichen auf dem Gebiet des Tatsächlichen angesiedelten Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit bei dem Erblasser (hier: zur Zeit der Errichtung der notariellen Testamente am 8.9.2009) gegeben waren, verlangt vom Gericht, die konkreten auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers aufzuklären, sodann Klarheit über den medizinischen Befund zu schaffen und anschließend die hieraus zu ziehenden Schlüsse zu prüfen (vgl. Hamm OLGZ 1989, 271; Frankfurt NJW-RR 1996, 1159; Palandt/Weidlich, BGB, 72. Auflage 2013, § 2229 Rn 11). Bestehen dann weiter Zweifel an der Testierfähigkeit (KG FamRZ 2000, 912), sind diese regelmäßig durch das Gutachten eines psychiatrischen oder nervenärztlichen Sachverständigen zu klären (BayObLG FamRZ 2001, 55), wobei der Sachverständige anhand von Anknüpfungstatsachen den medizinischen Befund nicht nur festzustellen, sondern vor allem dessen Auswirkungen auf die Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit des Erblassers zu klären hat (BayObLG FamRZ 2002, 1066; vgl. auch Senat, NJW-RR 2012, 1100)."
Rz. 128
Danach stellt sich der Verfahrensablauf zusammengefasst wie folgt dar:
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Zunächst muss das Nachlassgericht die auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers ermitteln und hierzu sämtliche Beweise im Frei- oder Strengbeweisverfahren erheben. |
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Danach ist zu prüfen, ob die so ermittelten Tatsachen bereits ausreichen, um Rückschlüsse auf eine Erkrankung ziehen zu können bzw. existierende Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers auszuräumen. |
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Dies ist regelmäßig nicht der Fall, sodass das Nachlassgericht ein Gutachten eines psychiatrischen oder nervenärztlichen Sachverständigen einholen muss. Das Gutachten hat nicht nur den medizinischen Befund anhand der Anknüpfungstatsachen darzustellen, sondern explizit auch die Auswirkungen der Erkrankung auf die Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit des Erblassers. |
(2) Ermittlung der auffälligen Verhaltensweisen
Rz. 129
Zur Ermittlung der auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers kann sich das Nachlassgericht sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel bedienen. Der Umfang der gebotenen Ermittlung unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.
Rz. 130
Erste Auffälligkeiten, die das Nachlassgericht selbstständig überprüfen kann, können sich aus dem eröffneten Testament ergeben: unleserliche Schrift, Verwendung einer auffallend großen Schrift, Schreibmaterial, verwendeter Untergrund, wunderliche Formulierungen etc.
Oftmals werden zum Nachweis auffälliger Verhaltensweisen Einschätzungen und Zusammentreffen von Verwandten und Freunden des Erblassers mit diesem von den Beteiligten vorgetragen, sodass das Nachlassgericht sie als Zeugen vernehmen kann.
Rz. 131
Ist die Verfügung von Todes wegen, deren Wirksamkeit angezweifelt wird, von einem Notar beurkundet worden, hilft § 28 BeurkG in aller Regel weiter. Danach hat der Notar Feststellungen zur Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit zu treffen. Er muss sich den Gesamteindruck vom Testator nicht nur in einem Vorgespräch verschaffen, sondern auch beim Beurkundungsvorgang selbst, weil beim Vorlesen und Erörtern im Rahmen der Belehrungen nach § 17 BeurkG die Verständnisfähigkeit am besten eingeschätzt werden kann. Stellen sich Zweifel an der Testierfähigkeit des Testators ein, kann der Notar die Beiziehung eines Arztes veranlassen, weil er in der Regel nicht über den medizinischen Sachverstand eines Arztes verfügt. Bleiben weiterhin Zweifel, sind diese in der Urkunde festzuhalten. Kommt er dagegen zum Schluss, dass der Testator nicht testierfähig ist, soll der Notar die Beurkundung der letztwilligen Verfügung nach § 11 Abs. 1 BeurkG ablehnen. Die Feststellungen in der notariellen Urkunde können vom Nachlassgericht im Wege des Freibeweises als Beweismittel verwertet werden.
Rz. 132
Allerdings unterliegt der Notar gem. § 18 Abs. 1 S. 1 BNotO der Verschwiegenheit. Da der Erblasser als Auftraggeber im Erbscheinsverfahren nicht mehr lebt, muss die Aufsichtsbehörde, der Präsident des örtlichen Landgerichts, den Notar von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden, § 18 Abs. 1 S. 2 BNotO.
Dazu der BGH:
Zitat
"a) Das Zeugnisverweig...