Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
1. Hinzuziehung der Beteiligten
Rz. 98
Die Hinzuziehung von Beteiligten zum Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins ist in § 345 Abs. 1 FamFG geregelt, der § 7 FamFG insoweit ergänzt.
Rz. 99
Der Antragsteller ist Muss-Beteiligter, unabhängig davon, ob ihm ein eigenes Antragsrecht zusteht oder nicht. Wird ein gemeinschaftlicher Erbschein nur von einem Miterben beantragt, ist allein dieser Beteiligter und nicht sämtliche weiteren im Antrag aufgeführten Miterben.
Rz. 100
Neben diesem Muss-Beteiligten nennt § 345 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–5 FamFG weitere Beteiligte, die das Nachlassgericht hinzuziehen kann. Diese Kann-Beteiligten sind nach § 7 Abs. 4 FamFG von der Einleitung des Verfahrens zu unterrichten und über ihr Antragsrecht zu belehren:
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gesetzliche Erben |
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diejenigen, die nach den eröffneten letztwilligen Verfügungen als Erben in Betracht kommen |
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Gegner des Antragstellers, wenn ein Zivilrechtsstreit über das Erbrecht anhängig ist |
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diejenigen, die bei Unwirksamkeit der eröffneten letztwilligen Verfügung Erben sein würden |
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alle weiteren Personen, deren Rechte am Nachlass durch das Verfahren unmittelbar betroffen sind. Hierzu gehören Nacherben, Testamentsvollstrecker, Nachlassinsolvenzverwalter, Nachlassverwalter und Gläubiger mit vollstreckbaren Titeln. Nicht unmittelbar betroffen sind Gläubiger ohne Titel, Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigte und Nachlasspfleger. |
Rz. 101
Ob das Nachlassgericht diese Beteiligten hinzuzieht, entscheidet es nach pflichtgemäßem Ermessen. Als Kriterien gelten Gründe der Richtigkeitsgewähr des Erbscheins und der Rechtsfürsorge sowie der Sachverhaltsermittlung im Einzelfall.
Rz. 102
Eine Person, die zum Beteiligtenkreis gehört, aber noch nicht vom Nachlassgericht hinzugezogen worden ist, kann einen Hinzuziehungsantrag stellen. Im Antrag sind die Gründe für die Hinzuziehung zu substantiieren. Entspricht das Nachlassgericht dem Antrag, kann die Entscheidung formlos ergehen. Lehnt es dagegen die Hinzuziehung ab, muss es die Entscheidung in Beschlussform nach § 7 Abs. 5 S. 1 FamFG erlassen und nach § 38 Abs. 3 FamFG begründen. Gegen den Ablehnungsbeschluss ist die sofortige Beschwerde in einer Frist von zwei Wochen nach §§ 567 ff. ZPO statthafter Rechtsbehelf, § 7 Abs. 5 S. 2 FamFG.
2. Amtsermittlungspflicht
Rz. 103
Das Erbscheinsverfahren ist kein Streitverfahren. Deshalb finden die Regeln der ZPO grundsätzlich keine Anwendung.
Rz. 104
Das Nachlassgericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen, § 26 FamFG. Diese Amtsermittlungspflicht wird von der Mitwirkungspflicht der Beteiligten nach § 27 FamFG ergänzt und durch die Anhörung der Beteiligten sowie die in §§ 29, 30 FamFG geregelte Beweisaufnahme konkretisiert.
Rz. 105
Im Gegensatz zum Zivilprozess, in dem der Umfang und die Beweisbedürftigkeit des Streitstoffs weitgehend von den Parteien abhängt (Prinzip der formellen Wahrheit), hat das Nachlassgericht die objektive Wahrheit festzustellen und darauf die Entscheidung zur Erteilung des Erbscheins zu gründen (Prinzip der materiellen Wahrheit).
Aus diesem Prinzip folgt, dass widersprüchliche Angaben von Beteiligten aufzuklären sind. Das Nachlassgericht hat auch weitere Ermittlungen bezüglich von einem Beteiligten zugestandener Tatsachen oder von den Beteiligten übereinstimmend vorgetragener Tatsachen anzustellen, soweit es an der Richtigkeit der Angaben Zweifel hegt. Andersherum kann das Nachlassgericht von einer Beweisaufnahme zu streitig vorgetragenen, entscheidungserheblichen Tatsachen absehen und diese als wahr unterstellen, wenn es von der Richtigkeit der Tatsache überzeugt ist. Nicht umfasst von der Wahrunterstellung ist jedoch der Fall einer antizipierten Beweiserhebung, in der das Gericht von einer Zeugenvernehmung absieht, weil es den antizipierten Inhalt als wahr unterstellt und eine fiktive Aussage zum Gegenstand der Beweiswürdigung macht.
Rz. 106
Für das Nachlassgericht existiert keine Pflicht zur Ermittlung "ins Blaue": Die Amtsermittlungspflicht wird durch den Wortlaut der Norm auf die "erforderlichen" Ermittlungen begrenzt. Das Nachlassgericht bestimmt den Umfang der Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall. Die Ermittlungen sind abzuschließen, wenn von weiteren Ermittlungen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr erwartet werden kann.
3. Mitwirkungspflicht der Beteiligten
Rz. 107
Nach § 27 Abs. 1 FamFG sollen die Beteiligten an der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken. § 27 Abs. 2 FamFG bestimmt, dass die Angaben der Beteiligten in Anlehnung an § 138 Abs. 1 ZPO umfassend und wahrheitsgemäß sein müssen. Sie sollen durch ihren Vortrag und durch die Angabe von Beweismitteln ...