Dr. iur. Patrick Lenz, Dr. iur. Klaus Koch
Rz. 126
Beispiel
Mutter M und Tochter T schließen einen Erbvertrag, wonach M ihre Tochter T in vertraglich bindender Weise und ohne Rücktrittsvorbehalt zur Alleinerbin einsetzt. Die Tochter T hat sich im Gegenzug zur Zahlung einer wertgesicherten Leibrente an M verpflichtet. Außerdem sollte die Leibrente durch Eintragung einer Reallast auf einem Gebäudegrundstück der Tochter T gesichert werden. Letzteres ist unterblieben. Die aufgrund der Wertsicherung zu zahlenden erhöhten Beträge wurden nie geleistet, vielmehr wurden immer nur die Rentengrundbeträge bezahlt. Seit einem halben Jahr wird von T keinerlei Zahlung mehr an M erbracht. Kann M von dem Erbvertrag zurücktreten?
Der Erblasser kann nach § 2295 BGB von einer vertragsmäßigen Verfügung von Todes wegen zurücktreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu erbringen, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird.
aa) Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Erbvertrag
Rz. 127
Voraussetzung für ein Rücktrittsrecht aus § 2295 BGB ist, dass die Verpflichtung des erbvertraglich Bedachten einen Beweggrund für die getroffene Verfügung von Todes wegen darstellt. Die weitere in § 2295 BGB genannte Voraussetzung ist die Aufhebung der Rentenzahlungsverpflichtung.
Der Begriff der Aufhebung wird von der h.M. so verstanden, dass darunter nicht nur eine einvernehmliche Aufhebung zu verstehen sei, sondern auch jeder nachträgliche Wegfall der Leistungsverpflichtung, aus welchem Rechtsgrund auch immer.
Weil die Rentenzahlung in der Vergangenheit nur teilweise – ohne die wertgesicherte Anpassungserhöhung – erfolgt und jetzt ganz ausgeblieben ist und außerdem die vereinbarte Sicherheit nicht gestellt wurde, könnte der M ein Rücktrittsrecht nach § 326 BGB zustehen. Wobei es allerdings h.M. ist, dass erbvertragliche Verfügung einerseits und Leistungsverpflichtung andererseits nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zueinander stehen, weil das eine eine Verfügung von Todes wegen ist, das andere eine Verpflichtung unter Lebenden. Nach anderer Meinung liegt – ähnlich dem dinglich wirkenden – Erbverzicht auch dem Erbvertrag ein Grundvertrag zugrunde, bei dem die Verpflichtung zur Erbeinsetzung und die Zahlungsverpflichtung in einem synallagmatischen Verhältnis zueinander stünden.
Eine analoge Anwendung von § 326 BGB bei Leibrentenverträgen haben das Reichsgericht und das OLG Hamburg verneint. Anderer Meinung ist das OLG Celle.
Die Entscheidung dieser Streitfrage kann jedoch für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Im Falle des Verzugs kann der Gläubiger aus der Rentenzahlungsverpflichtung Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 286 Abs. 2 S. 1 BGB bzw. analog § 326 Abs. 2 BGB verlangen. Spätestens nach dem Wegfall der Zahlung kann der M das Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zugemutet werden.
bb) Gegenseitige Abhängigkeit von Erbeinsetzung und Zahlungsverpflichtung
Rz. 128
Die Vertragsparteien können erbvertragliche Erbeinsetzung einerseits und schuldrechtliche Leistungsverpflichtung andererseits zu einer rechtlichen Einheit verbinden mit der Folge, dass die Nichtigkeit des einen Teils nach § 139 BGB auch die Nichtigkeit des anderen Teils zur Folge hat.
Eine solche Teilnichtigkeit könnte im Wege der Motivirrtumsanfechtung (über das spätere Verhalten des Erbvertrags-Partners) nach §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB herbeigeführt werden. Nach h.M. besteht dieses Anfechtungsrecht neben dem Rücktrittsrecht nach § 2295 BGB. Über § 139 BGB kann die Nichtigkeit der erbvertraglichen Regelung nach Anfechtung zur Nichtigkeit auch des Leibrentenversprechens führen.
Denkbar wäre auch, die Erbeinsetzung unter der auflösenden Bedingung der ordnungsgemäßen Rentenerfüllung zu verfügen.
Welche Rechtskonstruktion bezüglich des Verhältnisses zwischen Erbeinsetzung einerseits und Rentenverpflichtung andererseits bestehen soll, bestimmt sich nach dem Willen der Vertragsparteien. Kann eine besondere Verknüpfung nicht festgestellt werden, so ist auf jeden Fall der Erbvertrag von Seiten der M anfechtbar nach §§ 2281 Abs. 1, 2278 Abs. 2 BGB im Hinblick auf die enttäuschte Leistungserwartung, die M haben konnte.