Dr. iur. Patrick Lenz, Dr. iur. Klaus Koch
Rz. 77
Ungeklärt ist die Frage der Reichweite eines solchen Änderungsvorbehalts und die Frage, welchen Inhalt er haben kann, insbesondere, ob jegliche Änderung einer vertragsmäßig getroffenen Verfügung zulässig ist. Dabei ist entscheidend, dass der Erbvertrag als besondere Einrichtung des Vertragsrechts zumindest einer (!) vertraglich bindenden Regelung bedarf, weil andernfalls das essentielle Charakteristikum eines Vertrags, nämlich seine Bindung, fehlen würde. Deshalb wird ein Änderungsvorbehalt nur dann für zulässig gehalten, wenn noch eine gewisse vertragliche Bindung des Erblassers bestehen bleibt. Dies bedeutet wiederum, dass ein Änderungsvorbehalt nicht so weit gehen kann, dass der Erblasser dadurch seine gesamte Testierfreiheit, derer er sich durch die in dem Erbvertrag eingegangene Bindung begeben hat, wiedererlangt. Erforderlich ist vielmehr, dass die Änderung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich oder inhaltlich beschränkt ist, da auch im letzteren Fall der Erblasser in seiner Gestaltungsfreiheit beschränkt bleibt. Eine auf Seiten des Vertragspartners erlangte vertragliche Position muss diesem erhalten bleiben, andernfalls entfiele das vertragstypische Merkmal des Erbvertrags schlechthin.
Rz. 78
Die in einem Teil der Literatur vertretene Auffassung, der Änderungsvorbehalt könne auch als sog. Totalvorbehalt vereinbart werden, ist demgegenüber kritisch zu betrachten. Danach könnten nämlich sämtliche vertragsmäßigen Verfügungen durch abweichende letztwillige Verfügung beseitigt werden. Weiler vertritt deshalb unseres Erachtens zu Recht die Auffassung, ein Totalvorbehalt könne nicht als zulässig erachtet werden, weil der Erblasser im Ergebnis in seiner Testierfreiheit überhaupt nicht eingeschränkt wäre, wenn es ihm gestattet wäre, ohne weiteres von allen vertragsmäßigen Verfügungen durch einseitige Verfügung von Todes wegen wieder abzuweichen. Damit entfiele jegliche Bindung für den Erblasser und damit würde sich der Erbvertrag nicht mehr vom Testament unterscheiden. Die Konsequenz wäre, dass der Vertragspartner keinerlei irgendwie gefestigte Rechtsposition erhielte. Vielmehr wäre die entsprechende im Erbvertrag enthaltene Verfügung als einseitige Verfügung nach § 2299 BGB einzuordnen.
Rz. 79
Dem Einwand, der Erblasser könne sich auch ein vollständiges Rücktrittsrecht vom Erbvertrag vorbehalten und damit die Bindungswirkung ebenfalls einseitig beseitigen, ist Folgendes entgegenzuhalten: Die Rücktrittsvorschriften sind streng formalisiert; ohne Kenntnis des Vertragspartners wird ein Rücktritt nicht wirksam, während beim Änderungsvorbehalt eine Lösung vom Erbvertrag auch hinter dem Rücken des Vertragspartners möglich wäre. Würde man für die Ausübung eines Änderungsvorbehalts die Einhaltung der Rücktrittsformen für analog anwendbar halten, wie es ein Teil der Literatur vorsieht, so stünde der Änderungsvorbehalt dem Rücktrittsvorbehalt gleich; ein praktisches Erfordernis für ihn wäre damit nicht erkennbar.
Rz. 80
Die Rechtsprechung orientiert sich bei der Bestimmung der Grenzen eines Änderungsvorbehalts an dem Wesen der erbvertraglichen Bindung. Der BGH betont, dass der Erbvertrag durch den Vorbehalt seines vertraglichen Wesens nicht entkleidet werden dürfe. Dies sei aber dann der Fall, wenn für den Erblasser keinerlei Bindung mehr bestehe. Deshalb müsse der Vorbehalt wenigstens eine für den Erblasser bindende Verfügung i.S.d. § 2278 Abs. 2 BGB bestehen lassen. In der beratenden Praxis muss deshalb streng darauf geachtet werden, dass wenigstens eine einzige vertragsmäßige Verfügung im Erbvertrag nicht vom Änderungsvorbehalt erfasst wird. So hat der BGH einen Vorbehalt, die Schlusserbeneinsetzung jederzeit abändern zu können, als zulässig erachtet, weil daneben noch eine vorbehaltlose gegenseitige Erbeinsetzung der Vertragschließenden im Erbvertrag enthalten war. Enthält ein Erbvertrag nur eine einzige vertragsmäßige Verfügung, dann darf der Vorbehalt nur so weit reichen, dass der Erblasser den Inhalt der Verfügung nicht vollkommen abändern kann; ein unabänderbarer Teil muss bestehen bleiben.
Rz. 81
Nach der herrschenden Rechtsprechung ist also ein Änderungsvorbehalt nicht zulässig, wenn er dem Erblasser gestattet, von allen vertraglichen Verfügungen ohne weiteres und ohne Einhaltung der Rücktrittsvorschriften abzuweichen.
Der BGH führt im Urt. v. 8.1.1958 aus:
Zitat
"Es muss durch Auslegung der letztwilligen Verfügung ermittelt werden, ob es sich … um eine vertragsmäßige Bestimmung handelt. Soweit einer an dem Erbvertrag beteiligten Person in dem Vertrag etwas zugewendet ist, ist in aller Regel davon auszugehen, dass diese Zuwendung vertragsmäßig getroffen ist … Mit Rücksicht auf die Vertragsfreiheit, die auch für den Abschluss von Erbverträgen gilt, ist es zulässig, dass die Parteien in dem Erbvertrag dem Erblasser das Recht vorbehalten, in gewissem Umfang letztwillige Verfügungen zu treffen, die mit den in dem Erbvertrag getroffenen unvereinbar sind. Dieser Vorbe...