Rz. 90
Der zeitliche Umfang des Versicherungsschutzes steht – vielfach in den Bedingungen ausdrücklich so formuliert – in unmittelbarem Zusammenhang mit dem sog. Versicherungsfall (vgl. dazu bereits Ausführungen zu Ziff. A-2 AVB-D&O, Rdn 68 ff.). Unter der Überschrift "Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes" (Ziff. A-5 AVB-D&O) finden sich präzisierend Unterüberschriften zur Pflichtverletzung und Anspruchserhebung während der Vertragsdauer, Rückwärtsdeckung, Nachmeldefrist, Meldung von Umständen, Insolvenz sowie zur Liquidation und Neubeherrschung. Ob dies notwendig ist, kann hier dahinstehen. Jedenfalls werden die Empfehlungen dadurch transparenter. Im Einzelnen:
1. Rückwärtsdeckung
Rz. 91
Nach § 100 VVG bezieht sich die Haftpflichtversicherung grundsätzlich nur auf während der Versicherungszeit eingetretene Tatsachen. Die überwiegende Mehrheit der auf dem Markt heute angebotenen D&O-Versicherungen sieht von vornherein eine "Rückwärtsversicherung" vor. Zurückhaltender war die Formulierung zur Rückwärtsversicherung noch in den früheren Verbandsempfehlungen (z.B. 2008: "Durch besondere Vereinbarung kann im Falle des Wechsels des Versicherers …") bis einschließlich denen des GDV-Modells 2010, in denen zwar auch eine Rückwärtsversicherung in Ziff. 3.2 vorgesehen war, diese indes aber beschränkt war auf Fälle eines Versichererwechsels. Ferner lief diese Rückwärtsversicherung in Ziff. 3.2 – bedingt durch dessen S. 2 – ("… oder hätte kennen müssen") bis zu den Modellbedingungen 2010/2011 weitgehend leer. In Verbindung mit S. 2 und der gewählten Überschrift über Ziff. 3.2 wurde damit dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer mit den bis 2010 empfohlenen Regelungen etwas suggeriert, was für diesen dann gar nicht existent war (§ 305c BGB, ggf. eine "überraschende Klausel"). Staudinger hielt – wie auch andere kritische Stimmen in der Literatur – derartige Klauseln für "aushöhlend" und konkrete Ausgestaltungen der Rückwärtsdeckungen gerade dann für unwirksam, wenn sie auf das "Kennenmüssen" abstellen, weil danach nicht Kenntnis, sondern bereits das "Kennenmüssen" deckungsschädlich sei. Auch Langen/Paul übten im Anschluss an die Entscheidung des OLG München vom 8.5.2009 Kritik. Sie waren und sind der Ansicht, die Wertung des OLG München greife hinsichtlich der Annahme einer ausgleichenden Wirkung der konkret vereinbarten Rückwärtsdeckung zu kurz. Nur eine D&O-Versicherung mit "unbegrenzter Rückwärtsdeckung – auch für bereits bekannte Pflichtverletzungen" – würde die für die Versicherten entstehenden Nachteile ausgleichen (Kompensation).
In der Praxis werden Rückwärtsversicherungen weitergehend konkretisiert gegenüber § 2 VVG. Bisweilen sehen derzeit auf dem Markt befindliche Verträge zum Teil auch noch zeitliche Begrenzungen bei der Rückwärtsversicherung vor. Auf dem deutschen Markt werden aber auch heute schon zeitlich unbeschränkte Rückwärtsdeckungen angeboten.
Im Modell 2011 hieß es im Einleitungssatz direkt unter der Überschrift zur damaligen Ziff. 3.2 noch, dass "zusätzlich" auch Versicherungsschutz für Pflichtverletzungen, die vor Beginn dieses Versicherungsvertrages begangen wurden, eingedeckt werden kann. Bereits im Modell 2013 wurde diese Überschrift ersatzlos gestrichen, was begrüßt werden darf. Zudem hat der GDV den Begriff "Rückwärtsversicherung" durch den der Rückwärtsdeckung ersetzt, was keine zusätzlichen Auswirkungen haben dürfte. Dadurch wurde aber deutlich, dass Versicherungsschutz stets auch für Versicherungsfälle aufgrund von vor Vertragsbeginn begangenen Pflichtverletzungen besteht (jetzt Ziff. A-5.2 AVB-D&O), sieht man vom Ausnahmefall in S. 2 ab.
Nach Ziff. A-5.2 S. 2 AVB-D&O erstreckt sich die Rückwärtsdeckung nicht auf solche Pflichtverletzungen, die die in Anspruch genommen(n) versicherte(n) Person(en) oder die Versicherungsnehmerin bei Abschluss dieses Versicherungsvertrages kannte(n). Als bekannt gilt eine Pflichtverletzung, wenn sie von der Versicherungsnehmerin oder der (den) versicherten Person(en) als – wenn auch nur möglicherweise – objektiv fehlsam erkannt oder ihnen gegenüber, wenn auch nur bedingt, als fehlsam bezeichnet worden ist, auch wenn Schadensersatzansprüche weder erhoben, noch angedroht, noch befürchtet worden sind. Damit werden insbesondere die in der Literatur geäußerten Kritiken und die vom OLG München angesprochenen Ansätze – zum Teil jedenfalls – beseitigt. Es ist noch einmal ausdrücklich zu erwähnen, dass das Anspruchserhebungsprinzip Vorteile bringt, jedenfalls wenn es so ausgestaltet ist, wie es nunmehr vom Gesamtverband vorgeschlagen wird: Im Vergleich zum "Verstoßprinzip" beinhaltet der D&O-Versicherungsvertrag nunmehr eine unbegrenzte Rückwärtsversicherung für vor Versicherungsbeginn begangene Verstöße – und dies gilt nur dann nicht, wenn die Pflichtverletzungen bekannt waren.