Rz. 37
§ 102 SBG XII begründet eine sog. selbstständige Erbenhaftung, d.h. eine von der Haftung des Hilfeempfängers völlig unabhängige Ersatzpflicht der Erben des Hilfeempfängers. Abzugrenzen ist sie von der unselbstständigen Erbenhaftung nach § 103 SGB XII. Die unselbstständige Erbenhaftung greift etwa, wenn zusätzlich bereits zu Lebzeiten ein Kostenersatzanspruch gegen den Hilfeempfänger selbst wegen schuldhafter Herbeiführung der Voraussetzungen der Sozialhilfebedürftigkeit (§ 103 Abs. 1 SGB XII) bestand. Dieser Anspruch geht dann auf den Erben über. Die Ansprüche aus § 102 Abs. 1 SGB XII und § 103 Abs. 1 SGB XII können in diesem Fall miteinander konkurrieren.
Rz. 38
§ 102 SGB XII steht in einem engen Zusammenhang mit den Vorschriften zum Schutz des Schonvermögens nach § 90 Abs. 2 SGB XII. Die zum Schonvermögen gehörenden Gegenstände können zu Lebzeiten des Hilfeempfängers nicht verwertet werden und verbleiben damit unangetastet im Vermögen des Hilfebedürftigen. Den Erben des Hilfebedürftigen soll dieser Schutz des Vermögens jedoch nicht zugutekommen. Deshalb bestimmt § 102 SGB XII, dass die Erben des Hilfeempfängers zum Ersatz der Hilfeleistungen verpflichtet sind, die in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall rechtmäßig an den Hilfeempfänger erbracht wurden. Somit ist es möglich, den Nachranggrundsatz nachträglich wiederherzustellen.
Rz. 39
Die Erben des Leistungsempfängers sind zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, die in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall am den Leistungsempfänger erbracht wurden. Dies bezieht sich allerdings nur auf rechtmäßig bewilligte Leistungen. Ersatzpflichtige Personen sind vorrangig die Erben des Hilfeempfängers, wobei mehrere Erben als Gesamtschuldner haften. Das SGB XII geht hier vom zivilrechtlichen Erbenbegriff aus. Nach § 102 Abs. 5 SGB XII nicht zu ersetzen sind die nach §§ 41 ff. SGB XII gewährten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Rz. 40
Dem Erben verbleibt ein geringer Freibetrag in Höhe des dreifachen Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 SGB XII (§ 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII). Eine weitere Privilegierung besteht für die Erben, die als Verwandte, Ehegatte oder Lebenspartner den Hilfeempfänger bis zu seinem Tode nicht nur vorübergehend in häuslicher Gemeinschaft selbst gepflegt haben. Dies gilt, soweit der Wert des betreffenden Nachlassanteils unter 15.340 EUR bleibt. Ist nur ein Erbe vorhanden, kann er sich nur insoweit auf den Pflegefreibetrag berufen, als dass der Freibetrag nach Nr. 1 darin konsumiert ist. Letztlich scheidet die Inanspruchnahme auch aus, wenn diese eine besondere Härte i.S.d. § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII darstellen würde. Hierbei kommen insbesondere solche Sachverhalte in Betracht, die nicht alle Anforderungen der Nr. 2 erfüllen, in der Gesamtbetrachtung jedoch wertungsmäßig vergleichbar sind.
Rz. 41
§ 102 Abs. 2 S. 1 SGB XII definiert die selbstständige Erbenhaftung als Nachlassverbindlichkeit. Es handelt sich dabei um eine "den Erben als solchen" treffende Verpflichtung nach § 1967 Abs. 2 BGB. Die Haftung aus § 102 SGB XII ist auf den Nachlasswert beschränkt. Dabei ist der Nachlasswert zur Zeit des Erbfalls maßgeblich. Somit ist die Haftung der Erben betragsmäßig begrenzt auf das den Erben angefallene Aktivvermögen abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten. Da der Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich ist, verringern spätere Wertverluste oder die Weggabe von Vermögensgegenständen vor der Inanspruchnahme durch den Sozialhilfeträger die Haftung des Erben nicht. Sollte dadurch eine Differenz entstehen, muss diese von den Erben mit Privatvermögen ausgeglichen werden. Die Begrenzung der Haftung auf den Nachlass bezieht sich jedoch nur auf dessen Wert, sodass der Erbe grundsätzlich auch mit seinem Privatvermögen haften kann, wenn der Nachlass vor der Geltendmachung des Erbenregresses angetastet wird.